WIE UMGEHEN MIT RUSSLAND?

Roderich Kiesewetter rät angesichts eines zunehmend konfrontativ auftretenden Russlands zu pragmatischem Handeln des Westens, das Putin nicht mit der politischen  Aufmerksamkeit belohnt, die er für sein Vorgehen auf internationaler Bühne sucht. 

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Roderich Kiesewetter

Wie umgehen mit Russland?

Russland bleibt ein schillerndes und gefährliches wie herausforderndes Faszinosum, irritierend, scheinbar stabil und robust und außenpolitisch immer dort, wo der Westen schwach auftritt. Ein politisches System, welches stark auf die Person des Präsidenten Putin zugeschnitten ist. Wo echte Gewaltenteilung, Unabhängigkeit und ernstzunehmende Gegengewichte fehlen, dominiert der Zwang der Eliten zum Selbsterhalt über andere Belange. Die Autorität der Institutionen wird dabei immer mehr ausgehöhlt und mit dem unbedingten Willen, Stärke auszustrahlen, kompensiert. Das System Putin steht nach zwei Jahrzehnten geschwächt da. Trotzdem gibt es keine sichtbaren Alternativen.

Der alte „Gesellschaftsvertrag“ der ersten Dekade Putins basierte auf dem exportfinanzierten Angebot von bescheidenem Wohlstand und Stabilität im Austausch für Autorität und politische und wirtschaftliche Machtkonzentration. Die bisher größte Protestwelle erlebte Russland im Jahr 2011, nachdem Putin seine Rückkehr vom Premierminister- ins Präsidentenamt verkündete. Indem die Demonstranten zu fremden Agenten und Anhängern „westlicher Dekadenz“ deklariert wurden, baute der Kreml geschickt auf einer gesellschaftlich vorherrschenden, latenten Skepsis dem Westen gegenüber auf und legte die Grundlagen für das politische Framing der kommenden Jahre. Zur Restauration der inneren Machtbasis brauchte es jedoch neue Erfolge. Der immer offener zur Schau getragene Nationalismus und der machtbewusste außenpolitische Kurs der vergangenen Jahre, sei es in der Ukraine, Syrien, Libyen oder Belarus, führten zeitweise zu erneuten demoskopischen Höhenflügen. Angesichts des verkrusteten Wirtschaftssystems, verschlechternder Reallöhne und wachsender Nöte der Bürgerinnen und Bürger ist dieser Bonus heute aber weitgehend aufgebraucht.

Der Führung gelingt es kaum noch, attraktive Angebote an die junge Generation zu machen. Die Proteste infolge der Verhaftung und willkürlichen Verurteilung Alexej Nawalnys in den vergangenen Wochen weisen auf ein Protestpotenzial und ein Bedrohungsgefühl von Seiten der Machthaber hin, das sich zur ernsthaften Bedrohung entwachsen könnte. Daß niemand verlässliche Prognosen über die Perspektiven Russlands nach Putin machen kann, verstärkt den Eindruck der systemischen Schwäche dort, wo eigentlich auf demonstrative Macht gesetzt wird. Aber es lädt auch, wie gewollt, zur Unterschätzung der Robustheit des Systems Putin ein.

Auch auf internationaler Ebene wird es um Russland zunehmend einsamer. Die russische Regierung positioniert sich immer seltener als konstruktiver Partner und nimmt gezielte Provokationen billigend in Kauf, solange dies zur Vorteilsnahme verhilft. Unberechenbarkeit wie beabsichtigte Ablehnung als Prinzip. Grundsätzliche strategische Erwägungen treten dabei hinter kurzfristigem Opportunismus zurück. Anstelle eines engen Austauschs mit Europa, eigentlich einem natürlichen Partner in dem sich transformierenden globalen Machtgefüge, signalisieren die Machthaber offen Verachtung für uns Europäer und unsere Werte. Zugleich betreibt Präsident Putin einen systematischen Ausbau und eine Modernisierung der militärischen Kapazitäten, insbesondere im Hinblick auf die Verlegefähigkeit und die Raketentechnologie. Im Streben nach einer Rolle als globale Macht verschaffen die atomaren Fähigkeiten Russland Bedeutsamkeit und Unberechenbarkeit. Auch die Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat wird strategisch genutzt. Die russische Führung bevorzugt es, als Querulant mit außenpolitischem Gewicht zu gelten, anstatt als fügsames Leichtgewicht zur Bedeutungslosigkeit verdammt zu sein. Gedanken, substantielle Schwächen mit Willen zu Kooperation zu kompensieren – Fehlanzeige.

Der Besuch des Außenbeauftragten Josep Borrell in Moskau im Februar 2021 hat verdeutlicht, daß unsere bilateralen Beziehungen derweil an einem neuen Tiefpunkt angelangt sind. Die russische Führung hat mit der zeitgleich verkündeten Ausweisung europäischer Diplomaten aus Deutschland, Polen und Schweden offen ihre Verachtung für uns Europäer inszeniert und deutlich gemacht, daß sie sich jedem ernsthaften Dialog über Menschenrechtsfragen verweigert. Russland zeigt nur noch wenig Interesse daran, sich ernsthaft an europäischen Normen und Strukturen zu orientieren und sucht stattdessen symbolische Konfrontation. Es zeichnet sich daher eine Entwicklung von einem kooperativen Partner hin zu einem systemischen Rivalen ab.

Dies zeigt umso mehr, daß es nun auf eine geschlossene Antwort der Europäer ankommt, die mit einer engen transatlantischen Abstimmung verbunden sein muss. Eine gelungene Russland-Politik muss von politischen Realitäten und nicht von Wunschdenken ausgehen. Dafür braucht es klares Verständnis unserer eigenen Interessen, Prioritäten und Grenzen, für die wir im nächsten Schritt entschieden eintreten müssen. Dazu gehört auch, deutlich zu machen, daß sich Interessen und Werte für uns nicht entkoppeln lassen. Die jahrzehntelang gewachsenen wirtschaftlichen Beziehungen etwa könnten von einem echten Rechtsstaat in Russland erheblich profitieren.

Die kürzlich verkündeten, transatlantisch abgestimmten Sanktionen gegen Verantwortliche im Fall Nawalny senden das richtige Signal. Wir verdeutlichen damit, daß sich die Europäer und die USA nicht länger spalten lassen und wir russischen Versuchen, Partner gegeneinander auszuspielen oder durch Bilateralisierung einzelner Fragen unsere gemeinsame Stimme zu schwächen, geschlossen entgegentreten. Wir sollten nach Wegen effektiver transatlantischer Aufgabenteilung suchen. Die Herausforderung wird sein, einen richtigen Mittelweg zwischen der Wahrung roter Linien und einem notwendigen, selektiven Engagement zu finden. Daß der Fokus dieses Beitrags auf den kritischen Aspekten liegt, soll nicht über die Notwendigkeit der Kooperation in Bereichen hinwegtäuschen, in denen eine Einigung besser erreichbar erscheint. Auch die US-Regierung hat erkannt, daß Klimapolitik ein wichtiges Feld kooperativer Zusammenarbeit darstellt, sodaß hier verstärkte Bemühungen zu erwarten sind. Es ist zudem wichtig, auch in krisenhaften Zeiten ein klares Gesprächsangebot in den Bereichen Rüstungskontrolle und Verifikation aufrecht zu erhalten.

Zugleich hat die Biden-Administration mit ihren kürzlich veröffentlichen Strategiepapieren zur Außenpolitik klargestellt, daß sie Russland im Vergleich zu China nachrangig priorisieren wird. In den kommenden Jahren werden wir Deutsche in Europa deshalb dazu angehalten sein, unsere eigene europäische Sicherheitsvorsorge weiter zu stärken. Eine russische Führung, die jedes verfügbare Mittel als strategische Waffe nutzt, um ihre Interessen zu erreichen, versteht allein die Sprache der Macht. Sie wird sich somit eher verhandlungsbereit zeigen, wenn sie auf der Gegenseite gestärkte Fähigkeiten in den Bereichen militärische Zusammenarbeit, Schutz der osteuropäischen Partner, Spionage- oder Cyberabwehr erkennt. Dabei geht es keineswegs um den Abbruch des politischen Dialogs, sondern um das Signal, daß wir unsere Forderungen ernst meinen. Ein solcher klarer Kurs verspricht eine größere Erfolgswahrscheinlichkeit als wiederholte Angebote für einen Neustart des Dialogs, die in den vergangenen Jahren regelmäßig fehlgeschlagen sind. Dies ist nicht zuletzt durch die gänzlich unterschiedlichen Perspektiven bedingt, mit denen beide Seiten auf strittige Themen blicken. Anders als die Europäer ist die russische Führung nicht an der Aufrechterhaltung des Status quo interessiert. Im Gegenteil herrscht hier die Meinung vor, daß nach unilateralen Konzessionen der vergangenen Jahrzehnte die Rückkehr zu einstigem Einfluss und Machtsphären ein legitimes Interesse sei.

Die Notwendigkeit des Westens, angesichts eines zunehmend konfrontativ auftretenden Russlands zu handeln, sollte deshalb nicht zu einem Aktionismus verleiten, der ignoriert, daß es an Dialogforen nicht mangelt. Erfolge werden sich aber erst dann einstellen, wenn sie dem Machtkalkül der russischen Führung dienen. Auch sollten wir die Bereitschaft zu Kooperation in Feldern, die in erster Linie von uns als gemeinsames Interesse verstanden werden, nicht überschätzen.

Entsprechend realistisch sollten die Erwartungen für einen Kurswechsel auf russischer Seite ausfallen. Eine im Abstieg begriffene Führung, die um ihr politisches Überleben fürchtet und zugleich unfähig ist, substanzielle Erneuerung durchzuführen, wird sich nicht durch externen Druck zur Aufgabe dieser Ratio bewegen lassen. Daher sollten wir pragmatisch handeln und Präsident Putin nicht mit dem belohnen, was er auf internationaler Bühne sucht: Aktive politische Aufmerksamkeit.

Roderich Kiesewetter (1963), Oberst a.D., ist Direktabgeordneter des Wahlkreises Aalen-Heidenheim im Deutschen Bundestag. Er ist Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Auswärtigen Ausschuss und Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums.

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