MIT BIDEN IN DIE ZUKUNFT

Peter Beyer beschreibt, was  Deutschen und Europäer unternehmen müssen, um die transatlantische Partnerschaft neu zu beleben.

Den folgenden Text können Sie hier ausdrucken.

Peter Beyer
Mit Biden in die Zukunft

Als ich gebeten wurde, einen Gastkommentar mit dem Arbeitstitel „Mit Biden in die Zukunft“ zu schreiben, fiel mir zuerst ein scheinbares Paradoxon auf. Joseph Robinette Biden war, als er am 20. Januar 2021 Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika wurde, 78 Jahre alt. Kein Präsident war bei Amtsantritt älter.

Immer wieder werde ich darauf angesprochen. Und oft schwingt ein mehr oder weniger lautes Zweifeln mit: Kann der Mann das noch? Brauchen die USA nicht einen jüngeren Politiker im Weißen Haus? Jemanden, der für Zukunft steht?

Konrad Adenauer war 73 Jahre alt, als er zum Bundeskanzler gewählt wurde. Er regierte 14 Jahre. Für die Gründungsjahre der Bundesrepublik erwies sich Adenauer als der richtige Politiker, er prägte unser Land wie kein zweiter Kanzler, steht noch heute für die Zeit der Westbindung und des Wirtschaftswunders. Alter ist also per se noch kein Kriterium für gute oder schlechte politische Führung.

Ich denke mittlerweile öfter: Vielleicht ist Biden genau der richtige Präsident für unsere komplizierte Zeit, auch wenn er womöglich aus Altersgründen nur vier Jahre regieren wird. Er ist ein Mann der Mitte, des Ausgleichs, der Kompromisse, der besonnen agiert und zusammenfügt, der glaubhaft vertreten kann, dass er sich für jeden Menschen in seinem Land interessiert. Biden wird sicherlich kein kraftvoller oder energetischer Präsident werden. Aber einer, der mit seiner ganzen Erfahrung und seinen Fähigkeiten führt und zusammenführt.

Seine Hauptaufgabe ist es, sein Land, das so polarisiert und zerrissen ist wie lange nicht, zu einen. Hinzu kommt die Mammutaufgabe der Pandemiebekämpfung. Für Außenpolitik bleibt da nicht viel Zeit. Doch schon jetzt ist erkennbar, dass Biden die Allianz mit Europa neu beleben will. In seiner Rede auf der virtuellen Münchner Sicherheitskonferenz beschwor er die transatlantische Freundschaft, warb um Vertrauen und für Kooperation, nutzte immer wieder das Wort „together“. Es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte sich für Donald Trump entschuldigt, der die Verbündeten der USA verhöhnt und beschimpft hatte. Erste Schritte hat Biden schon unternommen: Die Rückkehr zum Pariser Klimaabkommen ist essenziell – auch wenn es noch lange nicht genug ist im Kampf gegen den Klimawandel.

Die Wahl Bidens ist also eine Chance für uns. Wir haben nun die Verantwortung, diese auch zu nutzen. Wir Deutsche und Europäer müssen das transatlantische Bündnis mit konkreten Politikangeboten aufleben lassen. Wir sollten aus unserem oft behäbigen und reaktiven Außenpolitik-Modus ausbrechen – und in das Bündnis mit den USA investieren.

Erstens muss es beim Handel voran gehen. TTIP ist gescheitert, was wir in den Regierungsjahren Donald Trumps bitter bereut haben. EU und USA sollten zügig über ein neues Freihandelsabkommen verhandeln. Ein effizientes Abkommen mit hohen Standards, das keine Seite bevorzugt, sichert auf beiden Seiten des Atlantiks unseren relativen Wohlstand und Arbeitsplätze. China hat Ende 2020 ein Freihandelsabkommen mit Australien und 13 weiteren Staaten im asiatisch-pazifischen Raum geschlossen. Auch wenn hohe Standards und Regelungstiefe im Vertrag fehlen, muss dies bei uns alle Alarmglocken läuten lassen. Ein gutes Zeichen ist es, dass Biden und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Anfang März die gegenseitigen – legitimen – Strafzölle im Fall Airbus-Boeing ausgesetzt haben. Nun sollte auch schnell die Zeit der einseitig von Washington verhängten Strafzölle auf Aluminium und Stahl zu Ende gehen.

Zweitens brauchen wir eine transatlantische China-Strategie. Der Umgang mit Peking wird das 21. Jahrhundert prägen. Europa darf sich dabei nicht auf die Rolle des Vermittlers zurückziehen. Eine Äquidistanz zwischen Washington und Peking wäre naiv und gefährlich. Vielmehr gilt es, mit den USA zu definieren, wo unsere Interessen liegen. Die EU sieht China zu Recht als Systemrivalen. Eine Welt, in der Peking mehr Einfluss hat als Washington, wird deutlich weniger demokratisch sein. Wir müssen nur nach China schauen, um das zu sehen: Die eigene Bevölkerung wird von der Kommunistischen Partei fast lückenlos digital überwacht. Die Minderheit der Uiguren wird seit Jahren unterdrückt. Und die Demokratie in Hongkong wird bekämpft. Wir haben es mit einer Diktatur zu tun, die das Ziel verfolgt, militärische, ökonomische und technologische Supermacht zu werden, auf Kosten anderer. Wir müssen China mit Hilfe einer WTO-Reform dazu zu zwingen, endlich nach den marktwirtschaftlichen Regeln und Standards des Westens zu spielen – zur Not müssen wir mit Sanktionen dafür sorgen. Eine Entkoppelung von Peking ist hingegen schon alleine aus wirtschaftlicher Perspektive unrealistisch.

Drittens müssen wir unsere Sicherheitsarchitektur stützen. Das heißt für uns Deutsche: Mehr Geld für Verteidigung ausgeben. Wir haben zugesagt, das Zwei-Prozent-Ziel der NATO zu erreichen. In den vergangenen Jahren haben wir mehr in die Bundeswehr investiert, wir müssen uns aber noch steigern. Das sind wir unseren Verbündeten und auch den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr schuldig. Besondere Konzentration sollten wir beim Aufwuchs auf den Bereich Cyber legen. Darüber hinaus muss Deutschland als Führungs- und Partnernation in Europa im engen Bündnis mit Frankreich dafür sorgen, dass die EU an ihrer Peripherie nicht nur zuschaut, sondern – wo nötig – auch ordnend eingreift. Wir brauchen eine Lastenteilung mit den USA, die sich vermehrt dem pazifischen Raum zuwenden werden. Das heißt auch: Im Südchinesischen Meer sollte unsere Marine die geopolitischen Bemühungen der USA unterstützen.

Auch in der Klimapolitik müssen wir verstärkt transatlantisch denken, ebenso auf den Feldern Digitalisierung, Wissenschaft und Gesundheit. Die Zusammenarbeit von BioNTech und Pfizer bei der Entwicklung eines Impfstoffes ist ein Musterbeispiel dafür, was entstehen kann, wenn Deutschland und die USA eng zusammenarbeiten. Uneinigkeit hilft nur den Systemrivalen China und Russland. Doch in einem starken Bündnis auf Augenhöhe werden Europa und Nordamerika die Krisen des 21. Jahrhunderts meistern und die Zukunft positiv gestalten können. Ich sage: Lasst uns den Neuen Westen bauen.

Peter Beyer (1970) ist Transatlantikkoordinator der Bundesregierung und CDU-Bundestagsabgeordneter. Seit 2009 vertritt der im In- und Ausland ausgebildete Rechtsanwalt als direkt gewählter Parlamentarier die Städte Heiligenhaus, Ratingen, Velbert und Wülfrath in NRW im Deutschen Bundestag. Beyer gehört dem Auswärtigen Ausschuss des Bundestages an und ist Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. Zudem ist er Präsident der Schlesischen Landsmannschaft in Deutschland und Vize-Präsident der Südosteuropa-Gesellschaft.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert