SCHWEDENS SONDERWEG WÄHREND DER PANDEMIE

Gabriele Baumann erläutert wie sich Schweden erst mit erheblicher Verzögerung auf die Corona-Krise eingestellt hat und die  Anzahl der Todesfälle deutlich höher liegt als in den Nachbarländern.

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Gabriele Baumann

Schwedens „Sonderweg“ während der Pandemie

Am 11. März 2020 gab es in Schweden den ersten Todesfall nach einer Infektion mit Corona. Vielleicht ist das gewählte Datum ein Zufall, aber es ist wieder der 11. März ein Jahr danach, an dem ein Regierungsvorschlag in Kraft treten soll, der weitere Einschränkungen des öffentlichen Lebens verfügen kann. Nun wird erstmals darüber nachgedacht, dass auch Geschäfte und Kaufhäuser sowie Freizeiteinrichtungen bei steigenden Infektionszahlen von den kommunalen Behörden geschlossen werden können.

Ob es dazu dann auch kommt ist derweil noch nicht sicher, aber in jedem Fall stellt sich dem Beobachter aus Deutschland die Frage, warum man solche Maßnahmen nicht bereits früher auf den Weg gebracht hat. Schweden unterschied sich seit Beginn der Pandemie deutlich von allen anderen Ländern in Europa, bekannt wurde dies als „Sonderweg“ bei der Bewältigung der Corona Krise.

Grundschulen und Kindergärten waren zu keinem Zeitpunkt der Pandemie geschlossen, eine Tatsache, die es Eltern sehr erleichtert hat, ihrer Arbeit nachzugehen. Geschäfte, Restaurants und Friseure haben ihren Betrieb das Jahr über aufrecht gehalten, so dass Debatten über Schließungen, Entschädigungen und Öffnungsstrategien nie aufkamen. Gymnasien und Hochschulen hatten dagegen fast durchgängig bereits im Frühjahr auf Digitalunterricht umgestellt und werden dies auch mindestens bis zum Sommer so beibehalten.

Eine Folge dieser gewissen Normalität ist sicher auch die Tatsache, dass es keinen öffentlich ausgetragenen Unmut gegen die Corona-Politik des Staates gibt, auch wenn die Corona-Müdigkeit in der Bevölkerung natürlich in diesem Winter zugenommen hat und die Kritik an der Performance von Regierung und Gesundheitsbehörde von vielen Seiten, gerade auch der politischen Opposition, nicht zu überhören ist.

Trotz dieser Normalität in wichtigen Schlüsselbereichen ist das öffentliche Leben weitgehend zum Erliegen gekommen. Veranstaltungen dürfen seit der zweiten Welle im November nur noch mit maximal 8 Personen stattfinden, kulturelle Einrichtungen und auch Kirchen sind geschlossen, einige wenige (private) Museen und Kinos haben allerdings noch mit strengen Auflagen geöffnet.

Seit Anfang 2021 gilt zudem, dass Restaurants ab 20 Uhr keinen Alkohol mehr ausschenken dürfen (und somit die Gäste wegbleiben); Maskenpflicht herrscht in den öffentlichen Verkehrsmitteln zu Stoßzeiten zwischen 7 und 9 sowie 16 und 18 Uhr. Dies könnte nach dem 11. März ausgeweitet werden hin zu einer grundsätzlichen Maskenpflicht in Bus und Bahn.

Für deutsche Ohren hört sich das eher harmlos an. Schweden hat sich erst mit erheblicher Verzögerung auf die Krise eingestellt. Erklären lässt sich das vielleicht durch die Tatsache, dass Schweden seit 200 Jahren weder einen Krieg noch größere Krisen erlebt hat, um es gewohnt zu sein, schnell in den Krisenmodus zu schalten. Alle Anpassungen an die Pandemie-Lage wurden nur sehr zögerlich vorgenommen und hatten fast immer den Charakter von Empfehlungen, waren somit keine Verbote, die mit einem Bußgeld geahndet werden können. Das könnte sich nun mit dem 11. März 2021 ändern, von Bußgeldern bis zu umgerechnet 200 Euro bei Verstoß gegen die Anordnungen ist die Rede.

Eine generelle Notfallverordnung gibt es in Schweden nicht, so dass einzelne Maßnahmen für einen befristeten Zeitraum immer erst vom Parlament, dem Riksdag, genehmigt werden mussten. Dies mag auch ein Grund dafür sein, dass die Regierung im Gegensatz zu den Nachbarländern Dänemark, Norwegen und Finnland, wo die Politik schnell reagiert und Einschränkungen bis zur Grenzschließung bereits zu Beginn der Pandemie umgesetzt hat, immer erst die Experten zu Wort kommen ließ, die dann ihre Empfehlungen aussprachen.

Nach Schweden konnte man zu jedem Zeitpunkt der Pandemie ungehindert, ohne Quarantäne und Vorweisen eines Tests, einreisen. Erst seit dem 6. Februar fordert Schweden nun nach Regierungsbeschluss einen negativen Corona Test bei der Einreise. Kurz zuvor waren Kontrollen an den Grenzen zu Dänemark und Norwegen wegen der dort aufgetretenen britischen Varianten des Corona Virus eingesetzt worden.

Die Anzahl der Todesfälle liegt in Schweden, gemessen an der Einwohnerzahl, mit 12.647 (Stand 19. Februar) deutlich höher als in den Nachbarländern. Aufgrund der sehr infektiösen Mutationen sind nun auch die Neuinfektionen beispielsweise in Stockholm in der letzten Woche wieder um 25 Prozent angestiegen.

Im Vergleich zu Deutschland oder auch anderen europäischen Ländern haben die Angaben zum 7-Tage Inzidenzwert oder dem Reproduktions-Wert hier in der politischen Debatte nie eine Rolle gespielt und auch keine Ermessensgrundlage für die Regierung dargestellt. Daher ist unklar, welche Daten die Regierung nutzen würde, um eine Verschärfung der Einschränkungen nach dem 11. März anzuordnen.

Über 50 Prozent der Todesfälle haben Altersheime und Menschen in häuslicher Betreuung betroffen. Seit Frühjahr 2020 wird über die Zustände in Altersheimen und bei der häuslichen Pflege, insbesondere auch über die ungenügende Bezahlung von Pflegekräften debattiert. Die Partei der schwedischen Christdemokraten hat sich dieses Themas in besonderer Weise angenommen und wird auch als oberste Priorität Gesundheitsversorgung und Altenpflege in den Wahlkampf 2022 tragen. Das Gesundheitssystem liegt bislang dezentral in den Händen der Regionen und ist seit geraumer Zeit in der Kritik.

Das „schwedische Modell“ des aus hohen Steuern finanzierten Wohlfahrtsstaates, wozu auch die Gesundheitsversorgung gehört, wird von der Mehrheit der Bevölkerung dennoch bis heute akzeptiert. Das Vertrauen der Menschen in die öffentlichen Institutionen und die allumfassende Daseinsvorsorge ist groß und die Empfehlungen der Behörden werden eingehalten.

Ein überwiegender Teil der Arbeitnehmer arbeitet im Homeoffice, die Anordnung dazu erfolgt von den Unternehmen selbst und ist keine behördliche Vorgabe. Die digitale Vernetzung in Schweden ist so gut, dass man von größeren Problemen im virtuellen Arbeitsalltag bisher nichts gehört hat.

Die Appelle der Regierung, Abstand zu halten und Ansammlungen von Menschen zu meiden, werden nach meinen persönlichen Anschauungen nun aber doch deutlich nachlässiger befolgt als noch vor einem Jahr oder auch im Herbst.  Der Impfstart war in Schweden nicht weniger schleppend als in Deutschland, dennoch ist man zuversichtlich, bis Ende Juni (dem wichtigen Datum des Mittsommerfestes, nach dem sich das Land in den Sommer verabschiedet) den überwiegenden Teil der erwachsenen Bevölkerung geimpft zu haben. Vieles deutet schon jetzt darauf hin, dass es auch nach dem Sommer noch keine vollständige Rückkehr zu einem Leben vor der Krise geben wird. Schweden passt sich somit an den europäischen Weg im Umgang mit der Krise an.

Gabriele Baumann (1963) ist Slawistin und leitete von 2012 bis 2019 das Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kiew. Zuvor war sie seit 1994 in der Stiftung in verschiedenen Referenten- und Leitungsfunktionen tätig, von 2000 – 2005 u.a. im Büro der KAS St. Petersburg. Seit Oktober 2019 leitet sie das neu etablierte Auslandsbüro der KAS in Stockholm mit dem Projekt Nordische Länder.

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