RECHTSSTAATLICHKEIT ALS LACKMUSTEST FÜR DIE EU

Lena Düpont unterstützt eine konsequente Verbindung von Rechtsstaatlichkeit und europäischen Geldern.

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Lena Düpont

Rechtsstaatlichkeitmechanismus: Ein Lackmustest für die EU

„Ich glaube an Europa. Ich bin überzeugt von Europa. Nicht nur als Erbe der Vergangenheit, sondern als Hoffnung und Vision für die Zukunft.“
Dr. Angela Merkel als Vertreterin der Ratspräsidentschaft im Europäischen Parlament 2020.

Und genau diese Zukunft gilt es zu gestalten. Gemeinsam, im Dialog, in der Diskussion, vielleicht auch mal im Streit, aber immer mit dem Ziel, Europa voran zu bringen, es freier und besser zu machen und gemeinsame Lösungen für gemeinsame Herausforderungen zu finden.

Die europäische Geschichte zeigt, welche großen Schritte wir bereits gemacht haben. Aus verfeindeten Staaten sind Freunde geworden. Statt sich als Konkurrenten zu begreifen, unterstützen sich Europas Staaten gegenseitig und meistern Krisen wie die Covid-Pandemie gemeinsam. Die Lehren, die wir aus den Kriegen zu Beginn des 20. Jahrhunderts gezogen haben, wurden zu den grundlegenden Werten, auf denen unsere Union fußt: Die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte.

Der Respekt für diese Werte ist kein bloßes Lippenbekenntnis, sondern eine vertraglich festgelegte Verpflichtung, der sich alle Mitgliedstaaten verschrieben haben. Umso mehr ist es unsere Verantwortung, gegenseitig darauf zu achten, dass wir alle dieser Verpflichtung auch nachkommen.

In einer Gemeinschaft von 27 Mitgliedstaaten ist unvermeidbar, dass es ab und an zu Meinungsverschiedenheiten kommt, unterschiedliche Herangehensweisen miteinander in Konflikt geraten. Um diese zu überwinden, ist es wichtig, im Austausch zu bleiben, sich gegenseitig zu zuhören und Hintergründe zu verstehen. Nichtsdestotrotz gibt es, bei allem Verständnis für Unterschiede, rote Linien, die den Rahmen für Auseinandersetzungen deutlich machen. Diese roten Linien sind die Grundwerte der EU. Eine Überschreitung ist nicht akzeptabel und nicht zu rechtfertigen. Für den Fall, dass in einem Mitgliedstaat zu besorgniserregenden Entwicklungen kommt, sieht Artikel 7 des EU-Vertrages Sanktionen vor, als finales Mittel sogar die Aussetzung des Stimmrechts im Rat.

In den ersten knapp 60 Jahren der EU gab es wenig Anlass dafür. Doch die Entwicklungen in Ungarn und Polen in den vergangenen Jahren führten erstmals dazu, dass das Europäische Parlament und die Kommission den Rat aufgefordert haben, den Eingriff in die gemeinsamen Grundwerte und Rechtstaatlichkeitsprinzipien zu überprüfen und zu bewerten.

Gleichzeitig macht das bisherige Artikel-7-Verfahren aber auch deutlich, dass es kein adäquates Instrument ist: Der Vorgang steht seit Monaten still, bisher verhindert der politische Wille einiger Akteure bereits die Feststellung einer „eindeutigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung“ der EU-Grundwerte. Aus diesem Grund ist es richtig und wichtig, den Institutionen mit dem Rechtsstaatsmechanismus im EU-Haushalt eine objektivere Möglichkeit der Sanktionierung an die Hand zu geben.

Dieses Jahr hatten die Haushaltsverhandlungen aufgrund der COVID-19-Pandemie eine starke Brisanz. Nicht nur musste der Haushalt für die nächsten sieben Jahre, immerhin 1,1 Billionen Euro, beschlossen werden, sondern auch ein Wiederaufbaufonds von 750 Millionen Euro. Bereits im Juli hatten die EU-Mitgliedstaaten nach ihrem Gipfel erklärt, dass eine Konditionalitätsregelung eingeführt werden soll, die die Auszahlung von Geldern an die Achtung der Rechtsstaatlichkeit knüpft. Diese noch sehr ungenaue Formulierung wurde von allen 27 Mitgliedstaaten unterstützt. Der Anfang November zwischen Parlament, Kommission und deutscher Ratspräsidentschaft vereinbarte Rechtsstaatmechanismus, führte hingegen zur Blockade der Haushaltsverhandlungen durch hauptsächlich zwei Mitgliedstaaten.

Nach tagelangem Gezerre konnte dank des Einsatzes der deutschen Ratspräsidentschaft und des Verhandlungsgeschicks von Parlament und Kommission der einstige Widerstand von einigen Mitgliedstaaten überwunden werden. Und so gilt einmal mehr: Die EU funktioniert gerade in der Krise und hat sich erneut als „Kompromissmaschine“ erwiesen: Eine Lösung für die Einführung des Rechtsstaatsmechanismus ist erzielt. Für uns als Parlament war dabei immer klar: An den ausgehandelten Ergebnissen zwischen Rat und Parlament wird nicht mehr gerüttelt. Die Blockade musste der Rat lösen – schließlich hat er sie in den Gipfelnächten im Juli mit der schwammigen Formulierung selbst heraufbeschworen.

Dabei sind Ungarn und Polen Nettoempfänger, ihnen stehen hohe Summen aus dem Wiederaufbaufonds zu. Die Bereitschaft dieses Geld aufs Spiel zu setzen, um den Rechtsstaatsmechanismus zu verhindern, lässt die Beteuerungen zur Rechtsstaatlichkeit in beiden Länder in schrägem Licht erscheinen. Der Versuch, die EU auf diese Weise zu erpressen und die Fördergelder für zahllose Organisationen, Vereine und Projekte – und somit für große Teile der europäischen Zivilgesellschaft, als Faustpfand zu missbrauchen, ist in seiner Dreistigkeit einmalig. Der entschiedenen Reaktion seitens der übrigen Mitgliedstaaten, der Kommission und des Parlaments kam daher umso mehr Bedeutung zu. Die großen Fraktionen im Parlament haben mehrfach in seltener Einigkeit erklärt, dem Haushalt und Wiederaufbaufonds nur zu zustimmen, wenn der Rechtsstaatsmechanismus weiterhin bestehen bleibt.

Deutschland, mit seiner wechselvollen und schmerzhaften Erfahrung der Missachtung grundlegender demokratischer und rechtsstaatlicher Werte, weiß um die Bedeutung der konsequenten Ahndung von Missbrauch an demokratischen Grundwerten wie Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit oder Minderheitenschutz.

Doch nun ist der Kompromiss geschmiedet. Der Rechtsstaatlichkeitsmechanismus wird in den neuen Haushalt und NGEU übernommen. Ungarn und Polen erhalten aber die Möglichkeit, den Mechanismus vom Europäischen Gerichtshof im Rahmen einer Nichtigkeitsklage überprüfen zu lassen. Sie können ihn damit allenfalls um etwa ein Jahr hinauszögern, nicht aber seine Wirkung beschneiden. Der Mechanismus knüpft die Auszahlung von Geldern aus europäischen Fonds an die Bedingung der Einhaltung rechtsstaatlicher Standards in den Mitgliedstaaten. Hierbei ist hervorzuheben, dass die bloße Feststellung einer Verletzung europäischer Grundwerte noch nicht ausreicht. Vielmehr muss sich die Verletzung konkret auf europäische Fördergelder beziehen, z.B. durch eine Veruntreuung oder die Zweckentfremdung von Mitteln.

Es ist richtig, dass der Kompromiss steht und nicht um jeden Preis erkauft wurde. Zu wichtig sind unsere Grundwerte als Basis der gemeinsamen Union.

Das gilt im Übrigen auch im Umgang mit Kollegen innerhalb unserer Fraktion.

Wir haben unsere ungarischen Kollegen da verteidigt, wo es angebracht war, haben den Dialog immer aufrechterhalten. An vielen Stellen gibt es eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit einzelnen Kollegen. Diese Dialogbereitschaft muss aber auf beiden Seiten gewollt sein und mit Leben gefüllt werden. Wüste und zutiefst beleidigende Äußerungen gegenüber der Fraktionsspitze gehören mit Sicherheit nicht dazu.

Ein sachlicher Diskurs ist die Voraussetzung für politische Zusammenarbeit. Wir müssen mit unseren ungarischen Kollegen auch weiterhin im Gespräch bleiben. Nur so können Argumente ausgetauscht, Kritik geübt oder Überzeugungsarbeit geleistet werden. Die EVP hat im März 2019 einen vernünftigen Mittelweg gefunden. Die Suspendierung der Fidesz-Partei setzt ein deutliches Zeichen, indem sie politische Einflussnahme auf den Kurs der Partei verhindert und gleichzeitig die Möglichkeit zum Dialog offenhält, anders als es ein Rauswurf aus der Partei es getan hätte. Nun ist es vor allem an der Fidesz, ihren eigenen Platz innerhalb der christdemokratischen Parteien zu definieren und zu zeigen, ob sie sich noch als Teil der Familie versteht. Sollte das das Ergebnis sein, muss das Verhalten auch entsprechend angepasst werden.

Die Auflösung des Konflikts zwischen Ungarn, Polen und den übrigen 25, der sich nun in den Haushaltsverhandlungen Bahn gebrochen hat, ist richtungsweisend für die gesamte EU in den kommenden Jahren. Und so zeigt die jetzige Situation vor allem, dass wir uns niemals auf den Errungenschaften vergangener Generationen ausruhen dürfen. Frieden, die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte sind keine Selbstverständlichkeit. Es bedarf daher unseres täglichen Engagements, dass diese Werte erhalten bleiben und destruktive Kräfte keine Chance haben.

„Demokratie ist keine Sache von einsamen Entscheidungen, sondern Bedarf der Meinungsbildung vieler.“
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel

Lena Düpont (1986) ist studierte Politologin mit einem MBA in Public Affairs & Leadership. 2009 bis 2011 arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Büroleiterin im Europäischen Parlament, gefolgt von einer Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Deutschen Bundestag bis 2015. Seit 2019 ist sie Abgeordnete im Europäischen Parlament mit den Schwerpunkten Innenpolitik und Landwirtschaft. Düpont ist Vize-Koordinatorin der EVP-Fraktion im Innenausschuss und innenpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Gruppe.

 

 

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