AN DER REALITÄT VORBEI

Thomas Sternberg kritisiert ein neues Vatikan-Dokument über Pfarreireformen und die Rolle von Laien als biblisch und historisch, theologisch und praktisch weder wünschenswert noch real.

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Thomas Sternberg

An der Realität vorbei

Stellungnahme zur Instruktion der vatikanischen Kongregation für den Klerus: „Die pastorale Umkehr der Pfarrgemeinde im Dienst an der missionarischen Sendung der Kirche“ vom 20. Juli 2020. Die Instruktion können Sie hier ausdrucken.

Ohne Vorankündigung, ohne Pressekonferenz erscheint mitten in der Ferienzeit eine weit reichende Instruktion aus Rom zu wichtigen Fragen der Pfarrorganisation und Gemeindebildung. Eine erste Lektüre des umfangreichen Textes in 124 Ziffern zeigt bereits eine zum Ideal stilisierte Gemeinde, die es vielleicht niemals gab, und mit den ersten sechs Abschnitten nicht zu verbinden ist. Die folgenden fünf Abschnitte treffen nicht unsere Situation.

Zunächst wird Richtiges gesagt über die Veränderungen, denen sich die klassische Territorialpfarrei stellen muss. In Ziffer 38 wird vor der „Klerikalisierung der Pastoral“ gewarnt und betont, dass die „gesamte Gemeinschaft für ihre Sendung verantwortlich ist“. Wie richtig, aber die Würde aller Getauften und Gefirmten wird im Folgenden völlig von dem verqueren Bild der monarchischen und angeblich allein verantwortlichen „Hirten“, den Pfarrern und Bischöfen überlagert.

Die pastoralen Umstrukturierungsprozesse mancher Bistümer werden besonders kritisch ins Visier genommen. Offenbar war ein wesentlicher Auslöser der Instruktion die Beschwerde von Pfarrern des Bistums Trier, die sich gegen die pauschale Herabstufung in der Auflösung von 849 der aktuell 884 Pfarreien bei der Kleruskongregation erfolgreich wehrten. Pfarreiauflösungen, so wird festgelegt, müssen stets am Einzelfall entschieden und begründet werden, sie dürfen keine Degradierung für Pfarrer bedeuten und sollen in Fragen des Vermögens selbständig bleiben. Wie auch die Profanierung von Kirchen darf der Mangel an Priestern nicht zum Argument für Zusammenlegungen oder Verbünde werden. Nun ist der Text für sehr verschiedene Situationen in der Weltkirche hin verfasst. Für Deutschland kann das, was im Folgenden gesagt wird, nur zum Teil Geltung beanspruchen.

Denn im Folgenden geht der Text weit an der Realität unserer Pfarreien vorbei. Die Pfarrentwicklungsprozesse, die in vielen Bistümern Gegenstand der Beratung von Gremien und Synoden sind, sind differenzierter als es die pauschale Darstellung erkennen lässt. Unsere Gemeinden sind mit Seelsorgeteams – ein Begriff, den es nach der Instruktion nicht geben soll – und Gremien der Mitverantwortung sehr viel weiter.

Abenteuerlich ist das gezeichnete Bild der Laien. Beauftragungen gibt es nur für Akolythen (Messdiener) und Lektoren? Was ist mit den Theologen im kirchlichen Dienst, mit Gemeinde- und Pastoralreferenten und -referentinnen? Wie ist der Unterschied zwischen der Predigt von dazu ausgebildeten Theologen und Theologinnen zu dem, was als Laienpredigt pauschal verworfen wird? Die Vielfalt der Dienste wird nicht gesehen, nur das für real gehalten, was das Kirchenrecht kennt.

Realitätsfremd ist auch die Behauptung alle Räte seien reine Informations-, Beratungs- und Hilfsgremien. In Deutschland sind die Kirchenvorstände zum Glück staatskirchenrechtlich als Entscheidungsgremien etabliert. Und auch die Pfarrgemeinderäte sind in der Praxis längst zu wichtigen Weichenstellern und Entscheidungsgremien geworden. Man fragt sich auch, wer denn bereit sein sollte, sich einem Wahlverfahren zu unterziehen, um anschließend lediglich als Berater zu fungieren.

Es ist ja nicht so, als wenn die Laien mit Macht an den Altar und zur Mitbestimmung drängten: man muss um sie werben. Mit Vorstellungen von Räten, die völlig abseits demokratischer Erfahrungen liegen, wird dies nicht gelingen. In unseren Pfarreien und Bistümern geht es viel partizipativer zu und die Pfarrer und Bischöfe haben sich zumeist längst darauf eingestellt, dass Laien das Leben der Gemeinden aufrechterhalten. Und es sind zumeist Frauen, die das Gesicht unserer Gemeinden prägen – sie finden im ganzen Text keine Erwähnung.

Die Instruktion versteht sich über Strecken als Verweis auf das Kirchenrecht. 1983 wurden in seiner Abfassung partizipative Ansätze des Konzils zurückgedrängt. Eine „Chiesa sinodale“ – wie vom Papst auch für Deutschland immer wieder gewünscht – lässt sich damit nicht verwirklichen. Auch der vorliegende Text zeigt die dringend notwendige Überarbeitung eines Rechts, das ebenso weltfremd zu werden droht, wie es damals das erste Rechtsbuch von 1917 gewesen ist. Die Situation der katholischen Pfarreien und Bistümer zumindest in Europa wird nicht gespiegelt.

Das Gottesvolk ist längst weiter. Es ist sich in allen seinen Gliederungen von Laien über Ordensleute, Priester, Diakone und Bischöfe der gemeinsamen Verantwortung angesichts großer Krisen bewusst. Wir sind alle Schafe des einen Hirten Jesus Christus. Der Dienst der Pfarrer an ihren Gemeinden wurde von Papst Franziskus herausgestellt – die Gemeinden dienen nicht dem Pfarrer.

Besonders realitätsfern ist der Text aber im Blick auf die Priester. Das Bild der Pfarrgemeinde, die sich um den Pfarrer schart, wird, abgesehen von dem schiefen Ideal, schon durch einen Priestermangel unmöglich, der längst dramatische Züge angenommen hat. Im vergangenen Jahr musste in Deutschland ein Neupriester elf endgültig ausgeschiedene Priester ersetzen. Es gibt die Priester nicht mehr, von denen ja auch noch Leitungsqualitäten abverlangt werden. Und wenn der Text noch so sehr betont, der Mangel an Priestern dürfe nicht zu neuen Formen der Gemeindeleitung führen, so wird die schlichte Notlage einen Reformprozess beschleunigen, der längst eingesetzt hat und nicht gestoppt werden kann.

Die Instruktion verfehlt die Realität der Katholischen Kirche in Deutschland. Sie zeichnet etwas als Ideal, was biblisch und historisch, theologisch und praktisch weder wünschenswert noch real ist. Die partzipative Suche nach neuen Wegen auf dem „Synodalen Weg“ kann dadurch nicht gestoppt werden. In der letzten Ziffer kommt eine Frau vor. Papst Franziskus wird mit einer Anrufung an Maria zitiert: „Sie trete für uns ein, damit wir den heiligen Mut erlangen, neue Wege zu suchen“! – Das würde sich wohl selbst Maria 2.0 gern anschließen.

Prof. Dr. Dr. Thomas Sternberg (1952) hat nach einer Bäckerlehre Germanistik, Kunstgeschichte und Theologie in Münster, Bonn und Rom studiert. 1988 -2016 war er Direktor der Katholisch-Sozialen Akademie FRANZ HITZE HAUS Münster. 2005 – 2017 ghehörte dem Landtage von Nordrhein-Westfalen an, seit 2012 ist er Sprecher des Herausgeberkreises von kreuz-und-quer.de. Am 20. November 2015 wurde Sternberg  zum Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken gewählt.

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