SYNODALE KIRCHENVERFASSUNG – HIER UND HEUTE !

Friedrich Kronenberg unterstreicht, dass es angesichts der vielfältigen Skandale, verursacht durch sexuellen, finanziellen, psychischen und spirituellen Machtmissbrauch in der katholischen Kirche  keine überzeugenden Gründe gegen den Synodalen Weg, gegen eine Synode nach Würzburger Vorbild oder gegen ein neues Konzil geben kann. Alles was notwendig ist, um zu einer synodalen Kirchenverfassung zu kommen, sollte angestrebt werden.

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Friedrich Kronenberg

Synodale Kirchenverfassung – hier und heute!

Wir haben Weihnachten gefeiert, uns hat der Gedanke beseelt, dass Gott Mensch geworden ist – für alle Menschen auf der ganzen Welt und für alle Menschen damals wie heute. Er ist also auch für uns, die wir heute leben, in Deutschland, in Europa, Mensch geworden und hat sich uns offenbart und uns die Verheißung geschenkt, dass unser Leben das irdische Dasein übersteigt, dass es schließlich in die ewige Gemeinschaft mit Gott mündet, wenn wir als seine Jüngerinnen und Jünger ihm nachfolgen. Wir sind Christi Jünger – hier und heute!

Nun gehen wir im Kirchenjahr auf Ostern und Pfingsten zu. Karfreitag begegnen wir den letzten Worten von Jesus am Kreuz: „Es ist vollbracht! Und er neigte das Haupt und übergab den Geist“ (Joh. 19,30). Diese Übergabe des Geistes, seines Pneumas, beherrscht die biblischen Erzählungen bis Pfingsten, sodass wir mit Recht Pfingsten als den Geburtstag der Kirche bezeichnen, einer Kirche, die von uns Christen für die Zeit zwischen Pfingsten und dem Jüngsten Tag gestaltet wird, in pneumatischer Freiheit und in pneumatischer Verantwortung.

Diese pneumatische Freiheit und Verantwortung hier und heute wahrzunehmen, dient auch der Synodale Weg, den die Deutsche Bischofskonferenz und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken gemeinsam begonnen haben. Zwar hat sich der Synodale Weg bestimmte wichtige Fragen vorgenommen, deren Beantwortung für die Zukunft der Kirche von entscheidender Bedeutung sind, aber bei allen diesen Fragen ist die Verfassung unserer Kirche gleichsam eine Schlüsselfrage, die sich fortwährend für die Gestaltung der Kirche zwischen Pfingsten und dem Jüngsten Tag stellt. Auch unter der Führung des Heiligen Geistes bleibt unsere Kirche Menschenwerk, bleibt ihre Verfasstheit auch von der Verfassung abhängig, die wir ihr unter der Führung des Heiligen Geistes geben.

In letzter Zeit ist häufiger zu beobachten, dass gegenüber dem Synodalen Weg Warnungen geäußert werden, die zwar einen richtigen Sachverhalt wiedergeben, die aber trotzdem unbegründet sind, weil dieser Sachverhalt für die Kirche in Deutschland längst die erforderliche Antwort erhalten hat. Jüngstes Beispiel ist das niederländische Pastoralkonzil, das vor einem halben Jahrhundert in Noordwijkerhout stattgefunden hat und das jetzt warnend gegenüber dem Synodalen Weg in Stellung gebracht wird. In www.katholisch.de und in www.domradio.de ist zu lesen: „Warnung vor der synodalen Sackgasse“ und dann: „Etwas Ähnliches wie den ´synodalen Weg´ hat die Kirche in den Niederlanden schon vor 50 Jahren versucht. Das damalige ´Pastoralkonzil´ endete allerdings im Desaster.“ Und schließlich: „Man kann aus dem niederländischen Reform-Desaster lernen. Die wichtigste Erkenntnis lautet: Wenn Reformbeschlüsse nicht ins Abseits führen sollen, müssen sie einen Weg nach Rom finden …“

Man mag das niederländische Pastoralkonzil als „Die Kirchenrevolution von Noordwijkerhout“ kommentieren, absurd ist die Warnung vor dem in Deutschland eingeschlagenen „Synodalen Weg“, den die Deutsche Bischofskonferenz und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken begonnen haben. Wissen die Autoren wirklich nicht, dass vor einem halben Jahrhundert deutsche Bischöfe, Priester und Laien eigens zum niederländischen Pastoralkonzil in Noordwijkerhout gereist sind, um die dort gemachten Erfahrungen in die Vorbereitung der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland, der sogenannten Würzburger Synode, einzubringen?  Ich habe seiner Zeit in Noordwijkerhout sehr genau die Statuten und die Praxis des Pastoralkonzils studiert. Das Statut und auch das praktische Geschehen unserer Synode haben die von den niederländischen Mitchristen begangenen Fehler bewusst nicht begangen. Es gibt nach der erfolgreich verlaufenen Würzburger Synode auch keinen Grund zu der Annahme, unsere Kirche in Deutschland, die sich trotz aller Unzulänglichkeiten um die Umsetzung der Synodenbeschlüsse bemüht hat, würde heute solche Fehler begehen.

Wie ich im September 2019 in „Christ in der Gegenwart“ S. 425 ausführlich dargelegt habe, waren in der Würzburger Synode die Rechte der Bischofskonferenz und Roms voll gewahrt. Die Auswahl der Beratungsgegenstände erfolgte nur im Einvernehmen mit der Bischofskonferenz. Anträge, deren Gegenstände einer gesamtkirchlichen Regelung vorbehalten sind, konnten nur in Form eines Votums an den Heiligen Stuhl eingebracht werden. Eine Beschlussfassung der Vollversammlung der Synode war ausgeschlossen, wenn die Bischofskonferenz Bedenken geltend machte, die in ihrer Lehrautorität oder im bischöflichen Gesetzgebungsrecht begründet waren. Spätestens während der zweiten Lesung mussten aber solche Bedenken der Vollversammlung mit entsprechender Begründung bekannt gegeben werden. So hatte die Vollversammlung die Möglichkeit, auch über diese Bedenken zu beraten und gegebenen Falls zu modifizierten Ergebnissen zu kommen. Rom hat dem Statut der Würzburger Synode ausdrücklich zugestimmt, nur die nach Rom gesandten, von der Synode beschlossenen Voten wurden zuletzt nicht beantwortet. Selbst wenn die Verfassung der Würzburger Synode noch keine synodale Kirchenverfassung war, sie war ein Schritt in diese Richtung.

Es gibt also keinen Grund, vor dem heute eingeschlagenen Synodalen Weg zu warnen, der ähnlich wie die Würzburger Synode in seinem Statut die ekklesiologischen Grundsätze des Kirchenverständnisses, wie sie im geltenden Kirchenrecht festgehalten sind, beachtet. Darüber hinaus ist kein Grund ersichtlich, dass bei den Fragen, die sich der Synodale Weg vorgenommen hat, auch Verfassungsfragen der Kirche mit in den Blick genommen werden. Das ist schließlich stets unsere Aufgabe, heute, zwischen Pfingsten und dem Jüngsten Tag, und überall, also auch hier, in der Kirche in Deutschland.

Dabei ist es hilfreich, sich klarzumachen, wie es zu der heutigen Gestalt und Verfassung der Kirche gekommen ist. Ursprünglich gab es weder Tempel noch besondere sakrale Stätten. Das war ein entscheidender Unterschied zum Judentum und zu anderen Religionen. Die Hauskirche war durchgehend das Bild der frühen Kirche. Eucharistie wurde am Tisch gefeiert. Hauskirchen schlossen sich zu Gemeinden zusammen und ein Episkopos, ein Aufseher hatte zunehmend die geistliche und administrative Leitung dieser Gemeinden. Viele dieser Bischöfe verehren wir heute noch als Heilige, weil sie in der Christenverfolgung nicht selten als Märtyrer starben. Erst durch die Konstantinische Wende wuchs der Einfluss des Christentums im Römischen Reich und im Jahr 380 wurde die Religion der Christen sogar zur Staatsreligion erhoben. Es ist nicht verwunderlich, dass damit in der Folge der Jahre auch neue Kirchenstrukturen entstanden und zwar aus Strukturelementen, die in dieser Zeit bekannt waren: Monarchie, Alleinherrschaft und Machtfülle (also das Gegenteil von Gewaltenteilung).

Es ist hier nicht der Ort, die Kirchengeschichte zu resümieren. Nicht selten lagen sogar geistliche und weltliche Macht in einer Hand. Heute ist unsere Kirche, um mit Thomas Söding zu sprechen („Christsein 2020 – synodal“ in „Christ in der Gegenwart“ 2020 S. 18) „in einem Klerikalismus gefangen, der angeblich typisch katholisch, in Wahrheit aber eine Erfindung des 19. Jahrhunderts ist. Klerikale Macht wird moralisch und spirituell überhöht. Priester werden heillos überfordert. Laien werden auf die hinteren Plätze verbannt. Wo bleibt das Charisma der Frauen, die ihre eigenen Sichtweisen auf Gott und die Welt haben? Wo bleibt die Stimme der verheirateten und unverheirateten Männer, die ihrem Beruf nachgehen und einiges mehr von der Verantwortung vor Gott mitten in der Welt wissen als diejenigen, deren Denken um die Kirche kreist?“

Nichts liegt näher, als der Kirche hier und heute die Gestalt zu geben, die dem Hier und dem Heute gerecht wird. Es wäre allerdings unklug, gleichsam mit einem fertigen Konzept für eine zeitgerechte synodale Kirchenverfassung in die Beratungen des Synodalen Wegs zugehen. Wichtig ist vielmehr der Weg, der gefunden werden muss, um zu einer zeitgerechten Kirchenverfassung zu kommen, die nach meiner Überzeugung nur eine synodale Verfassung sein kann.

Dieses Ziel muss man auf dem Synodalen Weg immer mit im Blick haben, und wenn das zu einer Synode, wie vor einem halben Jahrhundert in Würzburg führt, um so besser. Jedenfalls: „Es wird wohl drei verschiedene Kategorien von Beschlüssen geben. Einmal solche, die in den Bistümern direkt in Kraft gesetzt werden können. Dann die, die als Votum nach Rom gehen. Und schließlich Beschlüsse, die sich wahrscheinlich an ein Konzil richten müssten, die selbst ein Papst oder eine Bischofssynode nicht einfach entscheiden könnte.“ So argumentiert Thomas Sternberg, der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, in www.domradio.de am 17. Januar 2020. Und auf die Frage, ob es eine andere Verfasstheit von Kirche geben wird, antwortet er: „Ich bin ziemlich sicher, dass wir eine andere Verfasstheit bekommen werden – wobei ich mir nicht sicher bin, ob das auf der ganzen Welt ein einheitlicher Prozess sein wird. In unseren Breitengraden wird die umfassende Herrschaft von Bischöfen zurückgehen und zumindest für die Fragen der Sozialgestalt der Kirche eine stärkere Demokratisierung Einzug halten.“ Die demokratiegemäße Verfasstheit der Gemeinschaft des Volkes Gottes und die demokratiegemäße Gestaltung der kirchlichen Institutionen sind im tradierten ekklesiologischen Kirchenverständnis möglich und, wenn man den Zeichen der Zeit gerecht werden will, notwendig. Sie richten sich gegen den immer noch weit verbreiteten Klerikalismus und nicht gegen die kirchlichen Amtsinhaber, die selbst unter diesem Klerikalismus leiden. Viele Bischöfe und Priester sind erleichtert, wenn sie ihr Amt statt in einer klerikalistischen, in einer synodalen Kirchenverfassung ausüben können. Helfen wir Ihnen, sie sind auf die Hilfe des Gottesvolkes angewiesen!

Angesichts der vielfältigen Skandale, verursacht durch sexuellen, finanziellen, psychischen und spirituellen Machtmissbrauch in unserer Kirche kann es keine überzeugenden Gründe gegen den Synodalen Weg, gegen eine Synode nach Würzburger Vorbild oder gegen ein neues Konzil geben. Alles was notwendig ist, um zu einer synodalen Kirchenverfassung zu kommen, sollte angestrebt werden. Auf dem Weg dahin sollten wir allerdings immer das Geschehen zwischen Karfreitag und Pfingsten im Blick haben, das für die Gestaltung der Kirche hier und heute grundlegend ist: „er neigte das Haupt und übergab den Geist“ (Joh. 19,30) und nicht: „und gab den Geist auf“, wie es früher in der Übersetzung hieß. Vielleicht wird in diesem Jahr verstärkt die Chance wahrgenommen, die Übergabe des Geistes, besser des Pneumas, meditativ zwischen Karfreitag, Ostern und Pfingsten in den Blick zu nehmen, um die Zukunft der Kirche, hier und heute, aus dem Glauben an Jesus Christus zu gestalten. Pneumatische Freiheit und pneumatische Verantwortung müssen in den erforderlichen pneumatischen Mut münden, der für die Zukunftsgestaltung einer synodalen Kirchenverfassung unverzichtbar ist.

Dr. Dr. h.c. Friedrich Kronenberg (1933) hat Wirtschafts- und Sozialwissenschaften studiert. 1960-64 war er hauptamtlicher Leiter der Deutschen Pfadfinderschaft St. Georg, 1966 – 1999 Generalsekretär des Zen­tralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) sowie stv. Sekretär der Würzburger Synode 1970 – 1975 und 1983-1990 Mitglied des Deutschen Bundestages. 1982 – 2003 war er Vorsitzender der Kommission für Zeitgeschichte und 2001 – 2009 Vorsitzender des Maximilian-Kolbe-Werkes. Er ist Mitherausgeber von kreuz-und-quer.de

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