Franziskus gegen „Man hat es immer so gemacht“

In seiner Predigt zur Eröffnung der dreiwöchigen Synode mit Bischöfen aus der Amazonas-Region über pastorale, soziale und ökologische Herausforderungen warnte Papst Franziskus vor der „Sorge, den status quo zu verteidigen“. Wenn die Bischöfe nicht von Hirten zu Funktionären werden wollten, müssten sie den Geist der Ängstlichkeit ablegen und offen für Veränderungen sein. Lesen Sie hier den vollständigen Text der Predigt.

Den vollständigen Text der Predigt von Papst Franziskus zur Eröffnung der Amazonas-Bischofssynode am 6. Oktober 2019 können Sie hier ausdrucken.

Kernsätze aus der Predigt von Papst Franziskus sind u. a. :

„Das Feuer speist sich nicht aus sich selbst, es erlischt, wenn es nicht lebendig erhalten wird, es geht aus, wenn die Asche es bedeckt. Wenn alles so bleibt, wie es ist, wenn unsere Tage von der Devise „Man hat es immer so gemacht“ bestimmt werden, entschwindet die Gabe, sie wird unter der Asche der Ängste und der Sorge erstickt, den Status quo zu verteidigen. ….  Manch einer denkt, dass die Klugheit die Tugend des „Zolls“ ist, die alles aufhält, um keine Fehler zu begehen. Nein, die Klugheit ist eine christliche Tugend, sie ist Lebenstugend, ja sie ist die Tugend des Regierens. Und Gott hat uns diesen Geist der Klugheit gegeben. Paulus setzt die Klugheit der Verzagtheit entgegen. Was ist also diese Klugheit des Geistes? Wie der Katechismus lehrt, ist die Klugheit nicht mit Schüchternheit oder Ängstlichkeit zu verwechseln, sondern sie macht bereit, »in jeder Lage unser wahres Gut zu erfassen und die richtigen Mittel zu wählen, um es zu erlangen« (N. 1806). Die Klugheit ist nicht Unentschlossenheit, sie ist nicht eine abwehrende Haltung. Sie ist die Tugend des Hirten, der, um mit Weisheit zu dienen, im Stande ist, sich in Feinfühligkeit für die Neuheit des Geistes zu entscheiden.“

 

Predigt von Papst Franziskus zur Eröffnung der Bischofssynode Vatikanische Basilika 6. Oktober 2019

„Der Apostel Paulus, der größte Missionar der Kirchengeschichte, hilft uns, „Synode zu halten“, „gemeinsam voranzugehen“: Was er an Timotheus schreibt, scheint an uns gerichtet zu sein, die wir Hirten im Dienst des Volkes Gottes sind.

Vor allem sagt er: »Darum rufe ich dir ins Gedächtnis: Entfache wieder die Gnadengabe Gottes, die dir durch die Auflegung meiner Hände zuteilgeworden ist!« (2 Tim 1,6). Wir sind Bischöfe, weil wir eine Gabe Gottes empfangen haben. Wir haben nicht eine Vereinbarung unterschreiben, uns wurde nicht ein Arbeitsvertrag in die Hand gegeben, sondern die Hände auf das Haupt gelegt, um unserseits erhobene Hände, die beim Herrn eintreten, und zu den Brüdern ausgestreckte Hände zu sein. Wir haben eine Gabe empfangen, um Gabe zu sein. Eine Gabe kauft man nicht, man tauscht sie nicht ein, man verkauft sie nicht: Man empfängt sie, und man schenkt sie. Wenn wir uns ihrer bemächtigen, wenn wir uns in den Mittelpunkt stellen und nicht der Gabe die Mitte überlassen, werden wir von Hirten zu Funktionären: Wir machen aus der Gabe eine Funktion und es verschwindet die Unentgeltlichkeit und so dienen wir uns am Ende nur selbst und bedienen uns der Kirche. Unser Leben ist jedoch aufgrund der empfangenen Gabe zum Dienen bestimmt. Daran erinnert uns das Evangelium, das von „unnützen Knechten“ (Lk 17,10) spricht: Ein Ausdruck, der auch „Knecht ohne Ertrag“ bedeuten kann. Es bedeutet, dass wir uns nicht ans Werk machen, um einen Ertrag, einen Verdienst für uns zu erreichen, sondern weil wir umsonst empfangen haben und wir umsonst geben sollen (vgl. Mt 10,8). Unsere Freude wird ganz im Dienen bestehen, weil Gott uns gedient hat, der sich zu unserem Diener gemacht hat. Liebe Brüder, betrachten wir uns als hierher gerufen, um zu dienen, indem wir die Gabe Gottes in den Mittelpunkt stellen.

Um dieser unserer Berufung, unserer Sendung treu zu sein, erinnert uns der heilige Paulus daran, dass die Gnadengabe wiederentfacht werden muss. Das Wort, das er verwendet, ist faszinierend: wiederentfachen bedeutet wörtlich, im Original „ein Feuer entzünden“ [anazopurein]. Die Gabe, die wir empfangen haben, ist ein Feuer, ist brennende Liebe zu Gott und zu den Brüdern. Das Feuer speist sich nicht aus sich selbst, es erlischt, wenn es nicht lebendig erhalten wird, es geht aus, wenn die Asche es bedeckt. Wenn alles so bleibt, wie es ist, wenn unsere Tage von der Devise „Man hat es immer so gemacht“ bestimmt werden, entschwindet die Gabe, sie wird unter der Asche der Ängste und der Sorge erstickt, den Status quo zu verteidigen. Aber »die Kirche darf sich keinesfalls auf eine Pastoral der „Aufrechterhaltung“ beschränken, die nur auf jene ausgerichtet ist, die das Evangelium Christi bereits kennen. Der missionarische Schwung ist ein klares Zeichen für die Reife einer kirchlichen Gemeinschaft« (Benedikt XVI., Apostolisches Schreiben Verbum Domini, 95). Denn die Kirche ist immer unterwegs, sie ist immer im Aufbruch, sie ist nie in sich selbst verschlossen. Jesus ist nicht gekommen, die Abendbrise, sondern das Feuer auf die Erde zu bringen.

Das Feuer, das die Gnadengabe wiederentfacht, ist der Heilige Geist, der Geber der Gaben. Daher fährt der heilige Paulus fort: »Bewahre das dir anvertraute kostbare Gut durch die Kraft des Heiligen Geistes, der in uns wohnt!« (2 Tim 1,14). Und weiter: »Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit« (V. 7). Nicht einen Geist der Verzagtheit, sondern der Klugheit. Manch einer denkt, dass die Klugheit die Tugend des „Zolls“ ist, die alles aufhält, um keine Fehler zu begehen. Nein, die Klugheit ist eine christliche Tugend, sie ist Lebenstugend, ja sie ist die Tugend des Regierens. Und Gott hat uns diesen Geist der Klugheit gegeben. Paulus setzt die Klugheit der Verzagtheit entgegen. Was ist also diese Klugheit des Geistes? Wie der Katechismus lehrt, ist die Klugheit nicht mit Schüchternheit oder Ängstlichkeit zu verwechseln, sondern sie macht bereit, »in jeder Lage unser wahres Gut zu erfassen und die richtigen Mittel zu wählen, um es zu erlangen« (N. 1806). Die Klugheit ist nicht Unentschlossenheit, sie ist nicht eine abwehrende Haltung. Sie ist die Tugend des Hirten, der, um mit Weisheit zu dienen, im Stande ist, sich in Feinfühligkeit für die Neuheit des Geistes zu entscheiden. Die Gnade im Feuer des Geistes wiederzuentfachen ist also das Gegenteil davon, die Dinge laufen zu lassen, ohne irgendetwas zu tun. Und der Neuheit des Geistes treu zu sein ist eine Gnade, um die wir im Gebet bitten müssen. Er, der alles neu macht, möge uns seine wagemutige Klugheit schenken; er möge unserer Synode eingeben, die Wege für die Kirche im Amazonasgebiet zu erneuern, damit das Feuer der Mission nicht erlischt.

Das Feuer Gottes brennt, aber verzehrt nicht wie in der Begebenheit vom brennenden Dornbusch (vgl. Ex 3,2). Es ist Feuer der Liebe, das erleuchtet, erwärmt und Leben spendet, nicht Feuer, das auflodert und verschlingt. Wenn man die Völker und Kulturen ohne Liebe und Respekt verschlingt, ist dies nicht das Feuer Gottes, sondern der Welt. Und wie oft ist doch die Gabe Gottes nicht angeboten, sondern aufgezwängt worden, wie oft hat es Kolonisierung statt Evangelisierung gegeben! Gott bewahre uns vor der Gier neuer Kolonialismen. Das von zerstörerischen Interessen gelegte Feuer wie jenes, das kürzlich das Amazonasgebiet verwüstet hat, ist nicht das aus dem Evangelium. Das Feuer Gottes ist die Wärme, die anzieht und in Einheit versammelt. Es nährt sich durch Teilen, nicht durch Gewinne. Das verschlingende Feuer hingegen lodert auf, wenn man nur die eigenen Ideen voranbringen, die eigene Gruppe bilden, die Verschiedenheiten verbrennen will, um alles und alle zu vereinheitlichen.

Die Gabe wiederentfachen; die wagemutige Klugheit des Geistes in Treue zu seiner Neuheit aufnehmen; der heilige Paulus spricht eine letzte Mahnung aus: »Schäme dich also nicht des Zeugnisses für unseren Herrn […], sondern leide mit mir für das Evangelium!« (2 Tim 1,8). Er verlangt, dass wir das Evangelium bezeugen, für das Evangelium leiden, mit einem Wort, für das Evangelium leben. Die Verkündigung des Evangeliums ist das Hauptkriterium für das Leben der Kirche: Es ist ihre Sendung, ihre Identität. Kurz darauf schreibt Paulus: »Denn ich werde schon geopfert« (4,6). Das Evangelium zu verkünden, bedeutet, die Hingabe zu leben, bis zum Äußersten Zeugnis abzulegen, allen alles zu werden (vgl. 1 Kor 9,22), bis zum Martyrium zu lieben. Ich danke Gott, dass sich im Kardinalskollegium einige Brüder befinden, die Märtyrerkardinäle sind, die im Leben das Kreuz des Martyriums gekostet haben. In der Tat dient man dem Evangelium, so unterstreicht der Apostel, nicht mit der Macht der Welt, sondern mit der alleinigen Kraft Gottes, indem man immer in der demütigen Liebe und im Glauben verbleibt, dass die einzige Weise, um das Leben wahrhaft zu besitzen, ist, es aus Liebe zu verlieren.

Liebe Brüder, schauen wir gemeinsam auf den gekreuzigten Jesus, auf sein für uns durchbohrtes Herz. Beginnen wir von dort, weil von da die Gabe herkommt, die uns zu dem gemacht hat, was wir sind. Von da aus ist der Geist, der erneuert, ausgegossen worden (vgl. Joh 19,30). Fühlen wir uns alle und als Einzelne von dort gerufen, das Leben zu geben. Viele Brüder und Schwestern im Amazonasgebiet tragen schwere Kreuze und warten auf den befreienden Trost des Evangeliums, das liebevolle Streicheln der Kirche. Viele Brüder und Schwestern im Amazonasgebiet haben ihr Leben hingegeben. Erlaubt mir, die Worte unseres geschätzten Kardinals Hummes zu wiederholen: Wenn er in jenen kleinen Städten des Amazonasgebiets ankommt, geht er zu den Friedhöfen, um die Gräber der Missionare aufzusuchen. Und dann sagt er mit etwas Schlauheit zum Papst: „Vergessen Sie sie nicht. Sie verdienen es, heiliggesprochen zu werden“. Für sie, für diejenigen, die jetzt ihr Leben geben, für die, die ihr Leben hingegeben haben, und mit ihnen gehen wir gemeinsam voran.“

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