DAS „C“ MIT DER ZIPFELMÜTZE

Stephan Schaede nennt zehn Leitplanken für eine zeitgemäße Interpretation des „C“ in der Politik.

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Stephan Schaede

„C“ mit Zipfelmütze

Was will die CDU mit ihren Wählerinnen und Wählern teilen?

„Was hat um des Himmels Willen das C in der CDU mit einer Zipfelmütze zu tun?“ Auf diese Frage muss die Bundesgeschäftsstelle der CDU die Antwort kennen. Denn wer im Dezember 2018 in Berlin am Konrad-Adenauer-Haus vorbeifuhr, wurde von einer Zipfelmütze überrascht, die keck schräg aufgesetzt den großen leuchtenden Buchstaben C bekrönte. C mit Zipfelmütze. Das ist ein Symptom.

Die CDU schlingert zwischen zwei Polen: Einerseits ist sie durch den Konsenstod bedroht, den die liberale Demokratie in ihrer Mitte zu sterben droht. Für den nur durchschnittlich informierten Bürger ist die CDU mit der SPD zum Verwechseln ähnlich. Beide sind irgendwie für Armutsbekämpfung, Wohlfahrt, besseres Klima, Nachhaltigkeit, Abrüstung, Europa … Das ist der eine Pol. Andererseits machen sich Teile der CDU auf die Suche nach einer konservativen Grundhaltung, getrieben aus innerer Überzeugung, aber auch davon, dem Rechtspopulismus das Handwerk zu legen. Das ist der andere Pol.

Eine Zipfelmützenrhetorik verschlimmbessert das Schlingern. Die gelegentliche Betonung eines christlichen Menschenbildes und christlicher Werte plus Zipfelmütze spielt einem Laizismus in die Hand, der religiöse Orientierung aus dem Politischen verdrängen will. Das wurde Ende Februar in Berlin greifbar, als sich die „Initiative Säkularer Islam“ vorstellte. Jens Spahn saß auf dem Podium und hat vielleicht gar nicht mitbekommen, dass derweil im Plenum humanistische Verbandsanhänger der Grünen und der SPD programmatische Handzettel verteilt, ein religionsaggressiver laizistischer Akt inmitten der Ibn Rushd-Goethe Moschee. Eine mehr oder weniger religionsfreundlich daherkommende Zipfelmützen-CDU ist solchen Entwicklungen schwerlich gewachsen.

Jede Marke hat ein Credo und stützt sich auf drei Säulen: die Sozial-, Produkt- und Wirtschaftsphilosophie, die über soziale Medien geteilt werden. Die Frage ist doch die: Was will die CDU mit ihren Wählerinnen und Wählern teilen – wenn sie ihren Markenkern C stark machen will?

Es gilt die programmatische Energie einer Union im Sinne des C zu stärken. Noch ist die CDU eine Volkspartei. Die lebt nicht nur von Prozenten. Die lebt von einer bestimmten Qualität, nämlich der, quer durch alle Milieus Menschen mit diversen Gaben und Begabungen für politische Verantwortung zu gewinnen: von den Köpfen und Herzen herausragender Intellektueller bis zu den „Stinos“ (Stinknormalen). Die entsprechende Spannbreite mit programmatischen Zug zu repräsentieren, das ist die Aufgabe.

Diese Aufgabe ignoriert die Neujahrsansprache einer Bundeskanzlerin, die bald zwei von sechs Minuten für das Eingeständnis verbraucht, dass sich die Regierung fast das ganze Jahr mit sich selbst beschäftigt habe, nämlich in einem ersten Schritt, um sich zu bilden, und in einem zweiten Schritt, um sich zu streiten. Der dadurch promovierte Energieverlust kann die Schlussapotheose der Ansprache nicht auffangen, wo an „unsere Werte“ appelliert wird, an Offenheit, Toleranz und Respekt. Da, so wörtlich die Kanzlerin, „wo wir an unsere Werte glauben und sie mit Tatkraft umsetzen, da kann Neues und Gutes entstehen.“ Wir! Sind das wirklich wir? Wofür sind „wir“ denn?

Auch der während einer Zuhörtour entwickelte Leitfragenkatalog für ein neues Grundsatzprogramm der CDU gebraucht entlarvend oft die Vokabel „wir“. Wir in der CDU, wir in der Union, wir in Deutschland, wir in Europa. Da ist sogar von „unsere(r) Polizei“ die Rede. Ist das Polizei der Union? Die Chance aber, das C als politikgestaltende Kraft aufzurufen, verpasst der Fragenkatalog. Da wird zwar eingangs sonor gefragt, wie „wir als starke Volkspartei der Mitte erfolgreiche Politik auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes“ gestalten. Es folgen schüttere christlich amalgamierte Unterfragen. Das war’s dann aber auch schon im Wesentlichen für 144 Fragen. Christliches wird vorab getriggert, ein wenig beschworen und dann nicht mehr aufgerufen. Von Würde keine Spur. Die Zipfelmütze lässt grüßen. Da hilft auch nicht die gedanklich viereckige Frage weiter: „Was ist auf der Basis des christlichen Menschenbildes konservativ, sozial und liberal?“

Kann es auf diese Frage eine gescheite Antwort geben? Prima vista hatte Jesus von Nazareth möglicherweise eher etwas von einem unangepassten Sozialrevolutionär. Gern wird er als Protagonist für penetranten Umweltschutz und soziale Radikalreformen aufgerufen, als Pazifismus in Person und dergleichen mehr: linke-rechte Backe, sozialpolitische Lilien auf dem Felde usw. Immerhin steht in der Bergpredigt auch folgender Satz: „Ihr sollt nicht wähnen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen.“ (Mt. 5,17). Ist das konservativ?

Die Frage ist doch: Wie lässt sich ein kritischer, und gerade deshalb für die Fragen der Zeit durch das C inspirierter Orientierungshaushalt in einem Leitfragenkatalog umreißen?

Hier ein Vorschlag, der aus zu buchstabieren wäre. Wenigstens zehn Bestimmungen müssten programmatisch prägen:

Erstens die steile Behauptung, dass der Mensch Ebenbild Gottes sei. Gott macht sich selbst ein Bild von jedem Menschen und erwartet sich in dessen Verhalten und Handeln nach Möglichkeit wieder zu erkennen. Das setzt Maßstäbe.

Die werden zweitens im Gewissen als Bedingung der Möglichkeit einer demokratischen Kultur eines Landes greifbar. Gewissen ist der Ort persönlicher Freiheit und Verantwortung. Klar, viele politische Entscheidungen sind Ergebnis eines immer wieder auszuhandelnden Kompromisses, wenige unmittelbare Gewissensentscheidungen. Aber eine Politik im Zeichen des C handelt Kompromisse mit dem Gewissen im Rücken aus, hört auf die leisen gewissensinspirierten Stimmen. Das Gewissen rennt nicht Mehrheiten hinterher. Unter Umständen sind Mehrheiten erst zu gewinnen. Die entsprechende Überzeugungsrichtlinienkompetenz entsteht schwerlich durch Anfragen beim Allensbachinstitut ..

Drittens ist Menschenwürde als Dreh- und Angelpunkt zwischen religiöser und profaner ethischer Orientierung als politische Grundnorm zu entfalten. Christlich gesehen wird ein Mensch von Gott in seiner Menschenwürde nicht angetastet. Menschen tasten sie jedoch massiv an. Wie kann Politik diverse Antastungsversuche einhegen?

Viertens ist dementsprechend das Gebot der Nächstenliebe in seiner politischen Dimension zur Pflicht zu machen. Nächstenliebe ist der christliche Name für die Bereitschaft, politisch Verantwortung zu übernehmen. Dabei transformiert sich der individuelle Beistand der Nächstenliebe im Raum des Politischen in einem allen geltenden Beistand. Politik muss folglich berechtigte Interessen vieler, nicht einzelner Menschen im Blick haben. Niemals darf sie individualistisch exaltiert daherkommen, auch wenn das medial Eindruck schinden mag.

Fünftens gilt es Politik als Arbeit an Freiheit zu konturieren. Christlich verstanden befreit Freiheit zu Selbstbestimmung und Eigenverantwortung. Sozialbetuliche Überwältigung ist nicht ihre Welt. Wer die Segnungen einer freiheitlich demokratischen Grundordnung gerne in Anspruch nimmt, muss sich christlich gesehen auch von ihr in Anspruch nehmen lassen.

Sechstens muss Gerechtigkeit so in den Blick kommen, dass sie als intelligentere Alternative einer Option für die Armen als eine Option für Arme und Reiche im Namen eine Option gegen Armut verwirklicht.

Siebtens kann Politik der christliche Gedanke der Barmherzigkeit inspirieren. In der Migrationsdebatte etwa so, dass eine überlegte Dialektik von humanitärer Verpflichtung zur Hilfe und zugleich Einsicht in die Endlichkeit und Grenzen eigener Hilfsmöglichkeit greift.

Achtens ist Hoffnung als politischer Energieträger stark zu machen. Wir leben in einer endlichen Welt. Politik arrangiert Vorletztes. Vorletztes verweigert sich idealen Lösungen. Hoffnung gibt im Vorletzten Raum für jeweils bessere politische Optionen. Für die Arbeit an diesen Optionen sind Bürgerinnen und Bürger zu gewinnen.

Das setzt neuntes Vertrauen voraus. Vertrauen entsteht christlich verstanden durch qualifizierte Information. Es entsteht durch programmatische Verlässlichkeit. Eine Partei, die innerhalb weniger Tage in einer politischen Sachfrage konzeptionell umschwenkt, sei es in der Energiepolitik, sei es in Lebensformfragen wie der Ehe, verspielt Vertrauen.

Zehntes kann eine dem C verpflichtete Partei souverän mit politischen Fehlern umgehen, weil das Christliche die produktive Dynamik von Schuld und Vergebung kennt. So macht sie in kritischer Souveränität Eindruck.

Klar, das sind christlich inspirierte Bestimmungen. Teilen die nur Christinnen und Christen? Man mag argwöhnen: Lassen die sich mit Angehörigen anderer Religionen, mit Agnostikern teilen? Dieser Argwohn ist unberechtigt: Die damit angesprochene programmatische Ebene des Christlichen ist offen für religionsübergreifende Synergien. Gerade durch solche Synergien zeigt sich, ob und inwieweit ein christlich fermentiertes Ethos Ferment unserer politischen Kultur geworden ist, immer noch ist und zum Wohle unseres Landes bleiben sollte.

Dr. Stephan Schaede, (1963) Direktor der Evangelischen Akademie Loccum; Studium der Ev. Theologie und Philosophie in Tübingen, Rom und Göttingen; 2002 Promotion; 2000-2004 Pfarramt; 2004-2010 Leiter des Arbeitsbereiches Religion und Recht an der FEST Heidelberg; Mitglied im Kuratorium der KAS und in der  Kammer für Theologie der EKD.

 

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