IN VERSCHIEDENHEIT DIE EIGENE IDENTITÄT BEWAHREN

Wilfried Schumacher plädiert dafür, dass die christlichen Kirchen nicht nebeneinander leben, sondern eine Ökumene des Miteinander praktizieren.

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Wilfried Schumacher

In der Verschiedenheit die eigene Identität bewahren

Als ich vor 60 Jahren in die Grundschule (damals noch Volksschule) kam, gab es auf dem Gelände der Schule die katholische und gleich nebenan die evangelische. Die Schulhöfe waren zwar gemeinsam und doch gab es eine scharfe Trennung zwischen „denen“ und „uns“. Ganz zu schweigen von den Schimpf­wörtern, die hinüber und herüber flogen. Wir hatten nicht viel miteinander zu tun. Auch Freundschaften gab es kaum. Wie sollten sie auch entstehen, wenn keiner der anderen kannte?

Der Schulhof spiegelte wieder was auch gesellschaftlich üblich war. „Ökumene“ war damals noch ein Begriff für wenige. Wir lebten lange nebeneinander her. Auch wenn die Theologen seit dem Beginn des 20.Jahrhunderts miteinander im Gespräch waren, die breite Masse blieb sich fremd. Man brauchte einan­der nicht. Erst als die Nachkriegszeit mit den Flüchtlingsströmen die Konfessionen durcheinander wir­belte und sich in der katholischen Kirche das II.Vatikanische Konzil mit seinem Ökumenismusdekret zu Wort meldete, wurde Ökumene zunehmend zu einem Anliegen in der Breite der Bevölkerung und blieb nicht mehr allein den theologischen Fachleuten überlassen.

Und die Menschen, oder sagen wir besser „das Volk Gottes“ mag nicht mehr länger mitansehen, wie mühsam sich manches auf dem Gebiet der Ökumene bewegt. Während für die einen das gemeinsame Zeugnis wichtig ist, ja nahezu überlebensnotwendig ist, setzen die anderen immer noch auf Abgrenzung.

Der griechisch-orthodoxe Metropolit Augustinos spricht von der „splendid isolation“, in der sich die Kirchen „jahrhundertelang wohlgefühlt haben“. Für ihn bedeutet Ökumene „das Aufgeben der behagli­chen Nestwärme, um sich den rauen Wind der interkonfessionellen Realität um die Ohren wehen zu las­sen.“1Dazu gehören auch die Unterschiede in der Lehre, die man nicht außer Acht lassen darf und kann.

Je mehr die großen Konfessionen unter dem Zustimmungsvorbehalt ihrer Mitglieder stehen, je schwieri­ger wird es, sich abzugrenzen. Die Leute, besonders jene aus den konfessionsverschiedenen Ehen, wan­dern hin- und her, setzen sich hinweg über kirchenrechtliche Bestimmungen, leiden, aber wollen nicht weiter Opfer sein. Kritiker bemängeln, dass dabei oft die eigene Identität auf der Strecke bleibe.

Da wünscht man sich die Weite, die jüngst der katholische Essener Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck einforderte: „Bei allem Planen und Tun soll die ökumenische Dimension von vornherein mitbedacht werden. Dabei soll es nicht darum gehen, die konfessionelle Identität aufzugeben. Diese je eigene Identi­tät ist der Schatz, den wir in die Ökumene einbringen und der uns die Weite und den Reichtum des Christlichen erfahren lässt. Ökumene ersetzt also nicht die konfessionelle Beheimatung, sondern wird zu einem integralen Bestandteil innerhalb dieser Identität. Damit wird das Gemeinsame von der Ausnahme zum Normalfall, ohne das Eigene zu verdrängen oder zu schwächen.“2

Für die Zukunft kann das nur bedeuten: wir leben nicht mehr nebeneinander her, sondern miteinander. Je weiter die Strecke ist, die wir gemeinsam zurücklegen, je mehr wird deutlich werden, dass die Christen auch eine gemeinsame Tradition haben, jene Zeit, in der es noch keine Konfessionen gab. Dann stellt man schnell fest: Christen brauchen einander. Nicht nur die großen Kirchen, auch die kleinen Gemein­schaften. Ohne die anderen, wäre das eigene Zeugnis, in einer Gesellschaft, in der der christliche Glaube immer mehr verdunstet, nicht überzeugend.

„Das Gebet ist der Sauerstoff der Ökumene. Ohne Gebet wird die Gemeinschaft leblos und sie schreitet nicht voran, weil wir dem Windhauch des Geistes verwehren, sie anzutreiben,3“ sagte Papst Franziskus als er am 21.Juni 2018 den Weltkirchenrat in Genf an seinem 70.Gründungstag besuchte. Im gemeinsa­men Gebet sind die Christen in unserem Land inzwischen geübt. Unzählbar die Zahl der gemeinsamen Gottesdienste und Gebetszeiten. Aus dem Gebet aber muss die Tat erwachsen. Gemeinsam haben die Christen eine Stimme, der Aufmerksamkeit geschenkt wird – auch im politischen Kontext. Gemeinsam können sie handeln.

Papst Franziskus formuliert es so: „Die Glaubwürdigkeit des Evangeliums wird durch die Art und Weise auf die Probe gestellt, in der die Christen auf den Ruf derer antworten, die in allen Winkeln der Erde durch Ungerechtigkeit Opfer der tragischen Zunahme eines Ausschlusses sind, der Armut erzeugt und die Konflikte nährt. Die Schwachen werden immer mehr ausgegrenzt, ohne Brot, Arbeit und Zukunft, während die Reichen immer weniger und immer reicher werden. Fühlen wir uns vom Weinen der Lei­denden angesprochen und empfinden wir Mitleid, denn das »Programm des Christen ist ein sehendes Herz« (Benedikt XVI., Enzyklika Deus caritas est, 31). Sehen wir das, was konkret machbar ist, anstatt uns durch das entmutigen zu lassen, was nicht getan werden kann.“4

Dass das gemeinsame Handeln nicht auch in der Mahlgemeinschaft am Altar sichtbar wird, enttäuscht, ja verärgert viele. Aber Bischof Overbeck weist mit Recht darauf hin, „ für uns Katholiken wie übrigens auch für die orthodoxen Kirchen ist eine volle Eucharistiegemeinschaft nur im Rahmen einer vollen Kir­chengemeinschaft denkbar“5 Da haben die Theologen noch sehr viel Arbeit. Das „Volk Gottes“ aber wird hoffnungsvoll das Wort des evangelischen Präses, Manfred Rekowski hören: „Wir vertrauen dar­auf, dass die Trennung am Tisch Jesu Christi nicht endgültig sein wird, weil er selbst der Gastgeber ist.“6

Msgr. Wilfried Schumacher (1949) war 20 Jahre Stadtdechant und Münsterpfarrer in Bonn und lebt heute als Pensionär in Bonn. Ökumene war für ihn ein wichtiges Moment seiner Arbeit. Die freund­schaftliche Verbundenheit mit dem evangelischen Superintendenten prägte auch sein Wirken in der ge­sellschaftlichen Öffentlichkeit.

 

1 Metropolit Augoustinos von Deutschland Exarch von Zentraleuropa, Worte des Dankes bei der Verleihung des Ökumene-Preises 24.1.2019 – Griechisch-Orthodoxe Metropolie von Deutschland

2 Bischof Dr.Franz-Josef Overbeck, Vortrag bei der Superintendentenkonferenz der Evangelischen Kirche im Rheinland im Internationalen Evangelischen Tagungszentrum Wuppertal am 18.2.2019 – Pressestelle Bistum Essen

3 Papst Franziskus 21.6.2018 Genf – Libreria Editrice Vaticana

4 Papst Franziskus aaO.

5 Overbeck aaO.

6 Manfred Rekowski, Brief an die evangelischen Gemeinden im Rheinland, 27.6.2018 – Evangelische Kirche im Rheinland

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