WIDER ORBANS „ILLIBERALE DEMOKRATIE“

Thomas Schwarz hält das vom Europäischen Parlament eingeleitete Rechtsstaatsverfahren für eine notwendige Auseinandersetzung mit den autokratischen Tendenzen in Ungarn.

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Thomas Schwarz

Wider Orbáns „illiberale Demokratie“

Die Internetseite noktara.de ist nicht nur Insidern für ihre Späße und ihre Satire bekannt. Ähnlich wie der satirische „Postillion“ veralbert sie Politik, Kultur, Religion. Sie setzt dabei auf scheinbar seriöse Meldungen; ihr Sprach- und Schreibduktus ist scheinbar nachrichtlich.

Zu Beginn des muslimischen Fastenmonats Ramadan meldete noktara, der Stadtrat von Essen habe den eigenen Stadtnamen von „Essen“ in „Fasten“ umbenannt. Dies sei durch Eilbeschluss nach dem gemeinsame Fastenbrechen geschehen, mit Rücksicht auf die Muslime. Die Betreiber dieser Satireseite haben allesamt einen sogenannten „Migrationshintergrund“. Ethno-Satire bezeichnen sie selbst das, was sie anbieten. Man könnte über diesen Witz zum Ramadan schmunzeln oder auch nicht, dann aber wieder zur Tagesordnung übergehen. Nicht so die vom Regime in Budapest kontrollierten Medien.

Fake News als staatliches Instrument

In der Nachrichtensendung “M1 HÍRADÓ” wurde diese „Meldung“ allen Ernstes als weiterer Beleg für die „Islamisierung Deutschlands“ herangezogen. Hier kann man sich davon überzeugen: https://noktara.de/ungarisches-staatsfernsehen-islamisierung/. Betrieben wird der Sender MTVA vom Staat, also von Orbán und und dessen Medienschergen. Diese Art der Vermischung von Realität und Propaganda hat in Ungarn System. Es ist eine von dem Orbán geförderte skrupellos Fake-News-Methode, die mit christlichen Grundwerten unvereinbar ist.

Wenn Viktor Orbán, der einst als junger Reformer gestartet war, heutzutage von einem freien Land spricht, meint er eins wie seins. Es ist ein Ungarn frei von Muslimen, frei von dunkelhäutigen Leuten aus aller Herren Länder, die sein kleines Land bedrängen könnten. Gewiss, der Zaun, den er bauen ließ, „schützt“ auch westeuropäische Staaten vor den angeblich ach so vielen Flüchtlingen. Orbán aber posiert förmlich bei jeder Rede vor diesem Stacheldrahtverhau und mimt den starken Mann, den Führer. Seine politischen Gegner sprechen längst von „Viktatorship“, einer „Viktatur“.

Gleiche Begriffe, unterschiedliche Inhalte

Die liberale Demokratie als Politikkonzept hat für den „Viktator“ ausgedient. Er selbst bezeichnet sich, kalt lächelnd, als „illiberalen Demokraten.“ Beim ungarischen Führer subsumieren diese beiden Wörter sein Verständnis einer zeitgemäßen Gesellschaft. Begriffe wie Stolz, Selbstbestimmung, Nation, christliches Abendland oder Tradition flirren pausenlos durch Lautsprecher, Radios und Fernsehstudios, durch das Internet und über Marktplätze. Für die EU hat er nur Hohn und Spott übrig: „Stoppt Brüssel!“ war die Überschrift einer monatelangen Schmutzkampagne gegen das beispiellose europäische Friedensprojekt im vergangenen Jahr.

Dabei verstehen Orbán und seine Partei, die Fidesz, sich selbstverständlich als Demokraten. Sie beten öffentlich, bekreuzigen sich, gehen viel in die Kirche und lassen sich dabei filmen. Nach seiner Wiederwahl im Mai 2018 postulierte Orbán kurz und bündig das „Ende der liberalen Demokratie“. Im Nachbarland Österreich leidet die rechtsradikale FPÖ darunter, nicht die absolute Mehrheit zu haben. Laut „Die Presse“ rief Vizekanzler Strache seinen Parteifreunden zu: „Hätten wir die absolute Mehrheit, na ja, dann könnten wir es wie Orbán machen. Aber diese haben wir nicht.“ Auch die FPÖ sieht sich als Vertreterin eines demokratischen Staates; freilich eines, der „umgebaut“ werden muss.

Worauf warten wir Demokraten eigentlich noch?

Man muss den Eindruck gewinnen, dass sich die Verfechter der liberalen Gesellschaft permanent im Verteidigungsmodus befinden. Joachim Gauck konstatierte in seiner letzten Rede als Bundespräsident: „Die liberale Demokratie und das politische und normative Projekt des Westens, sie stehen unter Beschuss.“ Das ist fast anderthalb Jahre her. Inzwischen sitzen Orbáns Gesinnungsgenossen von der AfD im Bundestag.

Im Europaparlament indes bilden die Unionsparteien der Orbán-Partei einer gemeinsame Fraktion. Die Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ (HRW) rief vor einigen Wochen dazu auf, diese Kooperation zu beenden. Das ist beispiellos. In der HRW-Kampagne heißt es, schlicht und einfach: „Fidesz befeuert mit fremdenfeindlichen Parolen die Diskriminierung von Migranten und versucht, NGOs mundtot zu machen. Wollen CDU/CSU-Politiker in der Europäischen Volkspartei (EVP) wirklich, dass sich solche Ansichten und Werte innerhalb der EU verbreiten?“ Bedarf es für CDU/CSU mittlerweile des Hinweises von Menschenrechtsorganisationen, um Orbán als Autokraten zu entlarven?

Votum des Europaparlaments als Trendwende ?

Die vom Europäischen Parlament beschlossene Einleitung eines Rechtsstaatsverfahrens gegen das Ungarn Orbáns gibt Hoffnung auf eine Trendwende. Die erforderliche Zweidrittelmehrheit wurde bei einer Abstimmungsbeteiligung von 693 der 751 Abgeordneten deutlich überschritten: 448 Abgeordnete stimmten dafür darunter auch die große Mehrheit der EVP-Fraktion mit den Unionsabgeordneten, nur 197 dagegen und 48 enthielten sich. Die Nein-Stimmen kamen von vor allem von der Rechten aus Ungarn, Polen, Frankreich und der FPÖ, von der EU-feindlichen Gruppe um den Briten Nigel Farage, von den britischen Tories und polnischen PiS-Abgeordneten sowie leider von drei der vier CSU-Europaparlamentarier.

Dem Votum des Europäischen Parlaments lag ein Bericht zugrunde, der mehr als 60 Verstöße gegen demokratische Grundwerte auflistet. Sie reichen Grausamkeiten im Umgang mit Flüchtlingen und Schutzsuchenden über die Unterdrückung unabhängiger Medien und Versuche zur Politisierung der Justiz bis zum systematischen Zusammenhang von Repressionen und Günstlingswirtschaft, der die Negierung der Grundwerte nach sich ziehe – so der Bericht.

In seiner Rede vor dem Europarlament behauptete Orbán, mit dem Rechtsstaatsverfahren solle sein Volk dafür verurteilt werden, dass es Ungarn nicht zu einem Einwanderungsland machen wolle. Tatsächlich geht es – wie es der Parlamentsbericht formuliert um die “systemische Bedrohung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte in Ungarn”. Zugrunde liegen offizielle Befunde von Institutionen wie Vereinte Nationen, Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und des Europarats.

Wehrhaft gegen eine „illiberale Demokratie“

Fareed Zakari dürfte derjenige sein, der als Erster den Begriff der „illiberalen Demokratie“ in die politische Debatte eingeführt hat. Er schrieb bereits vor über zwanzig Jahren: „From Peru to the Palestinian Authority, from Sierra Leone to Slovakia, from Pakistan to the Philippines, we see the rise of a disturbing phenomenon in international life — illiberal democracy.“ (Quelle: Essay, „The Rise of Illiberal Democracy“ by Fareed Zakari. Foreign Affairs, November/December 1997 Issue). Demokraten müssen sich dieser Entwicklung geschlossen entgegen stellen. Es geht darum, die Mörder der Liberalität zu stellen – jene, die Ängste schüren, die nicht real begründbar sind, um eine offene Gesellschaft zu verhindern

Zu beobachten ist eine finstere Mélange aus erzkonservativen und rückwärtsgewandten Zeitgenossen, die sich Christen nennen. Wer behauptet, das „christliche Abendland“ zu verteidigen, aber gleichzeitig Minderheiten diskreditiert, verhält sich unchristlich. Wer das „christliche Abendland“ als unsere kulturelle Identität bezeichnet und Andersgläubige als Invasoren bezeichnet, ist ein Anti-Christ. Derlei Widersprüche gibt es so viele, das sie hier keinen Platz mehr finden. Der Papst in Rom alleine schafft es nicht, den Heuchlern und Pharisäern die Stirn zu bieten. Dabei müssen ihn schon alle aufrechten Christen unterstützen. Demokratische Politik ist auf solchen christlichen Bekenntnismut angeweisen.

Thomas Schwarz (1957) arbeitete mehr als zwanzig Jahre als Radiojournalist, Parlamentskorrespondent und Chefredakteur. Zwei Jahre Geschäftsführung für eine Softwarefirma, Markom und Business Development. Danach Pressesprecher und Direktor Internationale Kommunikation für die Hilfsorganisation CARE. Schwarz unterstützt ehrenamtlich Bildungsprojekte in Asien und Afrika, aktuell die „Ayiera-Initiative“ im Korogocho-Slum in Nairobi. Er arbeitet als freier Journalist und Medienberater. Homepage: www.ThomasSchwarzBonn.de

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