WISSENSCHAFTSFREIHEIT – QUO VADIS ?

Wolfgang Löwer sieht die Wissenschaftsfreiheit in Deutschland als gelebte Realität und unterstreicht, dass Wissenschaft vertrauenswürdig bleiben muss,  um diesen Befund nicht zu gefährden.

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Wolfgang Löwer

Wissenschaftsfreiheit – Quo vadis?

Der Schutz der Wissenschaftsfreiheit in einer speziellen Grundrechtsnorm ist ein originärer deutscher Beitrag zur Grundrechtsentwicklung. Die Kodifikation eines Freiheitsrechts verweist immer darauf, dass der geschützte Lebensbereich in der Vergangenheit durch die Staatsgewalt verletzt worden ist. Das eindrucksvollste Beispiel dafür ist der explizite Schutz der Menschenwürde als grundrechtliches Versprechen in Art. 1 Abs. 1 GG nach der Zeit des Nationalsozialismus.

Die Freiheitsbedrohungen der Wissenschaftsfreiheit, die zu ihrer Verfassungsverankerung in Deutschland geführt haben, datieren schon aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (Karlsbader Beschlüsse etc.). Solche Freiheitseinschränkungen – Amtsenthebung von Professoren, Einschränkung der Lehrfreiheit – sind in der Nachkriegsgeschichte nicht mehr aktuell geworden. Dass der wissenschaftliche Erkenntnisprozess und die Publikation von Forschungsergebnissen von jeglicher Staatsintervention frei sein müssen, ist als Entstehensvoraussetzung für Wissenschaft grundsätzlich akzeptiert (was Konflikte nicht vollständig ausschließt, wie die Diskussion um Zivilklauseln oder Behinderungen der Forschung in der grünen Gentechnik oder bei Tierversuchen zeigen). Substantielle systemische Staatsinterventionen, wie man sie in Ungarn oder Polen beobachten kann, kennen wir in der Nachkriegsgeschichte nicht mehr.

Diese Aussage für den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess gilt nicht in gleichem Maße für den in Art. 5 Abs. 3 GG eingeschlossenen Schutz der institutionellen Garantie freier Wissenschaft mit den darin eingelagerten organisationsrechtlichen Konsequenzen. Der jeweils zumeist auch verfassungsgerichtlich kontrollierte Bogen reicht von der parlamentsgesetzlosen Ordnung der frühen Nachkriegszeit mit der Selbstverwaltung der Universitäten durch die Professoren über die funktionsschwache Gruppenuniversität, die dann durch die mehr unternehmerische Universität mit deutlich ausgeprägter hierarchischer Entscheidungsstruktur („starke Frauen oder Männer an die Spitze“) abgelöst worden ist.

Dieses Modell hat das Bundesverfassungsgericht kürzlich im Sinne einer Stärkung des Kollegialprinzips unter Betonung der legitimatorischen Bedeutung der Partizipation der Wissenschaftsseite (Kompetenzwanderung vom Senat zum zentralen Leitungsorgan nur bei effektiver Kollegialkontrolle) moderiert. Mit diesen Strukturen einer Entscheidungskultur, die wissenschaftsrelevante Entscheidungen im kollegialen Gespräch zwischen Rektorat/Präsidium und Senat/Hochschulrat gewinnt, können die Universitäten durchaus in die Zukunft gehen.

Schwieriger ist die Frage zu beantworten, ob die Universität ihre zweite gesellschaftlich nicht minder bedeutsame Rolle erfüllen kann, hinreichend ausgebildete Absolventen für die akademischen Berufe bereitzustellen. Hier gilt es in der Aufgabenstellung zu differenzieren: Soweit die Universitäten im postgradualen Bereich zur Wissenschaft ausbilden, können die Unternehmen und die außeruniversitäre Forschung auf fähige Chemiker, Physiker, Mediziner, Pharmakologen und Ingenieure usw. zurückgreifen. Der volkswirtschaftliche Erfolg des Landes ist ganz wesentlich durch dies Ausbildungsleistung mitbestimmt. Soweit es um die BA- und MA-Studiengänge geht, ist im (durch politische Vorgaben und Erwartungen determinierten) universitären Ausbildungskonzept ein Paradigmenwechsel zu beobachten: Das universitäre Lehrkonzept war traditionell darauf gegründet, dass sich Lehrende und Lernende als Subjekte begegnen; der Student entscheidet (in Grenzen) selbst, wie er sein Fach bis zur Prüfungsreife bewältigt. Er ist eben selbstbestimmtes Subjekt im Rahmen einer ihm zugestandenen Lernfreiheit.

In der für praktisch jedermann zugänglichen Universität verbucht die Politik das Nichterreichen des Studienziels auf dem Schuldkonto der Universität. Dahinter steht die Vorstellung, dass bei gehöriger Betreuung eigentlich bei jedem Studierenden ein erfolgreicher Abschluss möglich sei. Das Verhältnis wechselseitiger Freiheit von Lehrer und Lernendem wird zum Betreuungsverhältnis, in dem der Betreute notwendig an Autonomie einbüßt. Dem entspricht die durch Akkreditierung gesteuerte Praxis der Genehmigung von Studiengängen, die den Studierenden an die Hand nehmen und den Studiengang in „handliche Portionen“ zerlegen, die auch nur portioniert bewältigt werden müssen – ohne Schlussprüfung, in der das Beherrschen des durch Wissenschaft gelehrten Stoffes präsentiert werden muss. Die Zukunft wird erweisen, ob im Systemvergleich die Betreuungsvariante ebenso leistungsfähig ist, wie die Autonomievariante der Vergangenheit.

Die Leistungen der Universität können nach deutscher Tradition nur erbracht werden, wenn der Staat sie hinreichend mit Finanzmitteln versorgt. Universitäten sind nun einmal staatliche Anstalten, für die der Staat auch die Anstaltslast trägt. Nachdem die Alternative einer Teilfinanzierung der Hochschulen über Studiengebühren in Deutschland im vergangenen Jahrzehnt gescheitert ist, bleibt nur die Alimentierung aus Steuermitteln.

Wiederum gilt es zu differenzieren: Für die Lehraufgaben sind die Universitäten nicht hinreichen finanziert. Obwohl der Bund auf der Basis des Art. 91b GG sich – nach der Novellierung des Art. 91b GG sogar in verfassungsmäßiger Weise – an der Grundfinanzierung der Hochschulen beteiligt, verschlechtert sich die Betreuungsrelation weiter, weil der Stellenzuwachs beim wissenschaftlichen Personal hinter dem Wachstum der Studierendenzahl zurückbleibt. Wie mit sich proportional verschlechternder Betreuungsrelation eine immer intensivere Betreuung geleistet werden soll, bleibt eines der großen Rätsel der Hochschulpolitik.

Für die Forschung sieht die Finanzierungsperspektive hingegen viel besser aus: Die Grundmittel finanzieren das hauptamtliche Wissenschaftlerpersonal und eine darauf bezogene Zahl an Nachwuchswissenschaftlern; alle anderen Nachwuchsstellen müssen, wie auch der Löwenanteil der Sachmittel, durch Drittmittel eingeworben werden. Für diese Drittmitteleinwerbung stehen bei DFG, Stiftungen, der Ressortforschung und in den Programmen des BMBF sowie in der EU in der Summe gewiss genügend Mittel bereit, die allerdings wettbewerblich einzuwerben sind. Das wird gelegentlich beklagt, weil die Drittmittelakquise zu viel Zeit, Kraft und schöpferische Energie der Wissenschaftler binde: Das stimmt als Befund, ist aber unvermeidlich, weil der paradiesische Zustand, dass jeder Forscher genügend Mittel hat, um seine Forschungsinteressen zu befriedigen, eben paradiesisch ist, also hienieden nicht denkbar ist. Um so wichtiger ist, dass über die Anträge in einem transparenten und wissenschaftsadäquaten Verfahren entschieden wird. Das ist bei den Begutachtungsverfahren im Rahmen der steuerfinanzierten Vergabe (insbesondere DFG, ERC-Grants, BMBF) gewährleistet, die ein hohes Maß an Entscheidungsrationalität gewährleisten.

Insgesamt ist die Wissenschaftsfreiheit normativ gut umhegt und auch gelebte Realität. Die Wissenschaft muss allerdings, um diesen Befund nicht zu gefährden, auch selbst vertrauensfähig bleiben. Sie verliert diese Basis, wenn die Grundregeln wissenschaftlichen Arbeitens verletzt werden, also Täuschung und Fälschung (die es immer geben wird) ein Ausmaß erreichen, dass die Vertrauensfähigkeit der Wissenschaft untergräbt.

 

 

Prof. Dr. Wolfgang Löwer (1946) ist seit 2016 Präsident Akademie der Wissenschaften und der Künste in Nordrhein-Westfalen. Er hat Staats- und Verwaltungsrecht sowie Verfassungsgeschichte studiert in Bonn und war Professor in Münster und an der FU Berlin sowie , seit 1990 in Bonn. Dort war er als Senator, Dekan und Prorektor in der Akademische Selbstverwaltung tätig. 2006 – 2014 war Löwer Richter des Verfassungsgerichtshofes NRW.

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