OSTERN – DIE BEGRABENE HOFFUNG ?

Mathias Mölleken beschreibt in seinem Osterwort 2018 Ostern als die Bereitschaft des Sich-Einlassens auf Gottes andere und unser Verstehen übersteigende Möglichkeit, als Richtungsveränderung, zur Solidarität, zu einem neuen Anfang – zur Kultivierung des Lebens.

Den folgenden Beitrag können Sie hier ausdrucken.

 

Mathias Mölleken

Ostern – begrabene Hoffnung?

„Wer wälzt uns nur den Stein vom Grab?“ – mit dieser Sorge machen sich nach dem Evangelisten Markus die Frauen am frühen Ostermorgen auf den Weg.
Die noch so junge Hoffnungspflanze nach gelingendem Leben für einen selbst und auch für andere, war nun durch die Ereignisse auf dem Todeshügel zu Golgatha erstickt. Nach knapp dreijährigem öffentlichen Auftreten und Wirken des Nazareners hatte sich offensichtlich diese Sehnsucht und damit auch jede erfahrene Gottesnähe dieser illustren Anhängerschaft des Wanderpredigers erledigt: Jesus wurde verurteilt, ans Kreuz geschlagen und starb einen jämmerlichen Tod.

Wie verheißungsvoll hatte doch alles begonnen? Anschaulich, den Menschen zugewandt und in unbedingter Solidarität zu allem Menschgerechten, hatte dieser Jesus von Nazareth vom Reich Gottes gesprochen. Außerdem hatte er nicht nur schöne Worte gemacht, auf dem Weg durch Galiläa erfuhren viele Menschen tatsächlich heilende und helfende Veränderungen. Ein Wirken Gottes, das sich in Jesus zeigte. Menschen vertrauten dieser Botschaft und folgten dem Menschensohn. Mit Jesus, so hofften und glaubten sie, verwandelt sich endlich die Welt.

Aber diese Botschaft eckte ebenso an – stellte in Frage und vor die Entscheidung: Welcher Maßstab hat im Leben Priorität?
Wie die Wenigen auf Neues hofften, so setzen die Anderen darauf, dass alles beim alten bleibt. Dem begeisterten Hosianna-Ruf folgt an jenem Passahfest der Kreuziget-Ruf auf dem Fuße – und setzte sich durch!

Alle Hoffnung dahin! Was bleibt?

Ein angemessener Totenkult für den gestorbenen Freund! Der ist den Jüngern und Anhängerinnen noch geblieben, damit wollen sie Jesus nahe sein. Totenklage halten, den Leichnam als Akt der Pietät und Liebe einbalsamieren, denn irgendwie musste dieser Abschied verwunden – die Hoffnungen begraben werden. Wenn sie sonst auch nichts machen können, dann aber eben dieses – in wehmütiger Erinnerung und tiefer Erwartungslosigkeit.
Die Frauen der Ostergeschichte hatten sich mit dem Tod arrangiert. Was bleibt ist die konservierte Erinnerung an „bessere Zeiten“. Der Tod wird kultiviert.
In diesem Arrangement werden die Frauen am leeren Grab von der Engelsbotschaft völlig überrascht: Entsetzt euch nicht! Fürchtet euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Aber: Er ist auferstanden, er ist nicht hier!

Unfassbar – unglaublich! Diese unerwartete Nachricht von der Durchbrechung der beherrschenden Todeswirklichkeit überforderte nicht nur damals die Frauen vor der leeren Grabeshöhle. Das geht uns heute wohl nicht anders, wenn wir Ostern als Fest der Auferstehung feiern, den Sieg des Lebens und damit die Wiederbelebung unserer Hoffnung!

Dieser Osterruf steht im Gegensatz zu allen Todeswirklichkeiten einer Welt, in der sich meistens der Stärkere, Machtinteressen, Profit durchsetzen.

Eine Sehnsucht nach anders haben wir schon, aber können wir diesem Osterzeugnis glauben?

Wir sind ja selbst viel zu oft „Meister im Steinewälzen“, Bedenkenträger und Kritiker einer Botschaft, die Grenzen sprengt, viel zu sehr verhaftet in einer diesseitigen Kausalität. Wie kann uns da die Osterbotschaft erreichen?
Dass Gott Jesus durch alles Leiden schickt, das diese Welt verursacht, mit Jesus sogar selbst am Kreuz scheitert und stirbt, lässt nicht einmal im Entferntesten erahnen, wie grundsätzlich der Liebes- und Schöpferwille Gottes ist.

Aber Gott scheitert nicht! Ostern siegt das Leben: Die Engel verkündet es den Frauen – wir hören es heute ebenso: Der Herr ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden!

Ostern schenkt in alle Widersprüchlichkeit und Schuld, in jede Hilflosigkeit diese Ermöglichung eines Neubeginns: Leben! Das macht eine verblüffende Osterfreude aus, die sich gegen jeden Vorbehalt einmengt.

Man mag das für naiv und verrückt halten. Aber das ist Osterglaube – im wahrsten Sinne des Wortes: Ver-rückt! Die Auferstehung Jesu verrückt unsere Lebensmaßstäbe und entsprechend unsere Haltung Welt zu sehen und für sie in Verantwortung und mit unverlierbarer Hoffnung einzustehen. Diese Nachricht ist so stark und überwältigend, dass sie sich nicht mehr aus der Welt schaffen lässt.

„Ach, wer wird uns den Stein vom Grab wälzen?“ Noch so sorgenvoll und gedankenverloren begegnet der Engel den Frauen am leeren Grab und sagt ihnen das Unglaubliche! Erst allmählich, wieder unterwegs, zurück zu den anderen Jüngern und Jüngerinnen, erfasst sie die Gewissheit: Unser Herr ist auferstanden – das Leben siegt!

Manchmal muss man sich dafür wirklich erst die Augen reiben, um zu einer neuen Sicht zu finden.

Das erinnert an einen alten Osterbrauch in Oberitalien, in der Gegend von Piemont. Dort soll es ein Brauchtum geben, das man „Osteraugen“ nennt. Wenn am Morgen des Ostersonntags zum ersten Mal die Glocken läuten, dann laufen die Dorfbewohner, Kinder, Erwachsene und auch ältere Leute zum Dorfbrunnen und waschen sich die Augen mit dem kühlen, klaren Brunnenwasser.
Dieses Brauchtum ist eine Art Gebet, in dem die Menschen um neue Augen, eben um „Osteraugen“ beten. Sie wollen besser und tiefer „sehen“, besser ein-sehen können, was durch die Auferstehung denn nun anders geworden ist in ihrem Leben. Sie wissen, dass der Auferstandene mit den physischen Augen nicht zu sehen ist. Erfahrungen von persönlichem Leid, die Ohnmacht gegenüber Terror und Gewalt in der Welt können blind machen für die Zeichen des Lebens und der Hoffnung.

So bitten wir um Osteraugen, benötigen diese Osteraugen unbedingt, um durch alle Dunkelheit und Traurigkeit hindurch den zu erkennen, der Hoffnung und Zuversicht schenken kann, vor allem aber ein Leben, dem kein Tod mehr etwas anhaben kann.

Ostern ist ein Geschenk des Glaubens!
Ostern ist die Bereitschaft des Sich-Einlassens auf Gottes andere und unser Verstehen übersteigende Möglichkeit!
Ostern ist Richtungsveränderung, zur Solidarität, zu einem neuen Anfang – zur Kultivierung des Lebens.

Ver-rückt, nicht wahr?
Frohe Ostern!

Mathias Mölleken (1957) ist Evangelischer Pfarrer in Meckenheim und Superintendent des Kirchenkreises Bad Godesberg-Voreifel. Er hat Theologie in Bonn und Göttingen studiert, ist verheiratet, hat drei erwachsene Kinder und ist fünffacher Großvater.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert