#METOO

Chantal Grede  beschreibt alltäglichen Sexismus oder sexuelle Belästigung als kulturellen Nährboden für sexualisierte Gewalt und fordert das Recht auf sexuelle Unversehrtheit.

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Chantal Grede

#metoo

Wie beendet man am schnellsten eine Familien-, Kollegen- oder auch Stammtischdiskussion über Gleich­berechtigung von Mann und Frau? Verwenden Sie die Begriffe „Sexismus“ und „Feminismus“. Haben diese nicht schon gleich die Debatte gesprengt, empfiehlt sich „Gender“ (dt. dschända). Verspro­chen: Spä­testens dann ist die leidige Diskussion ruckzuck vorbei. Anschließend folgt meist die Diskussi­on darüber, ob aus „Studentensekretariat“ wirklich das „Studierendensekretariat“ werden musste, wie teuer das wohl gewesen sein mag, und ob die ausschließliche Nennung der männlichen Form im Schrift­text „ganz grund­sätzlich“ Frauen diskriminiere.

Geschenkt – Schluss, aus, vorbei. 21 bzw. 6 % Lohnunterschied in gleichen Jobs, ausreichend Teilzeitang­ebote und/oder Kitaplätze, 6 % Frauen in Vorständen börsennotierter Unternehmen, dass im neu­en Bun­destag mehr als doppelt so viele Männer wie Frauen sitzen, die gläserne Decke – all diese struk­turellen Phänomene verlieren gegen die mächtige Kraft der ideologiegeladenen Worte „Feminismus, Se­xismus, Gender“. Anstelle dessen: Hysterie, Problemorientierung Fehlanzeige.

Werfen wir doch gleich alles in einen Frauen-Topf: Feminismus, Gender, Pädophilie, Belästigung, Miss­brauch, Fehlurteile, Frauenrechte und Sexismus. Doch versuchen wir es an dieser Stelle als Abwechs­lung zur medialen Berichterstattung mal mit Differenzierung: Sexismus ist nichts Anderes als gruppen­bezogene Menschenfeindlichkeit. Wir diskriminieren z. B. Obdachlose, weil sie keinen festen Wohnsitz haben oder Ausländer, wahlweise, weil sie anders sind, oder weil Teile der Gesellschaft davon überzeugt sind, dass der Ausländer qua natura der schlechtere Mensch sein muss. Mit dem Sexismus verhält es sich so: Wir diskriminieren Menschen aufgrund ihres Geschlechts.

Kommen wir so also zur ersten steilen These: Sexismus ist folglich in einer freien Gesellschaft ein ge­samtgesellschaftliches Problem. Vor kurzem feierten wir die erfolgreiche Disputation einer Freundin, die ihre Dissertation mit suma cum laude beendet hatte. Ihr Doktorvater verkündete stolz, dass sie nun eine „schlaue Mutter“ werden könne. Er merkte erst gar nicht, dass er sie in diesem besonderen Moment auf ihre weibliche Gebärfähigkeit reduzierte. Anderes Beispiel: Ein enger Freund beschwerte sich unlängst bei mir, dass auf Männertoiletten nie Wickel­ablagen vorhanden seien. Ja, dieser blinde Fleck war auch mir bislang entgangen, aber er hat ganz recht. Wenn wir davon ausgehen, dass sich Väter wie Mütter um ihre Kinder kümmern, müssen auch die gleichen Voraussetzungen vorhanden sein. Doch bevor die Märchenstunde weitergeht: Besagte Beispie­le sind alltäglicher Sexismus.

Und weil es doch so schön ist: Unlängst fragte mich ein Volljurist im Bewerbungsgespräch als erste Fra­ge wohlgemerkt im Konjunktiv, ob ich in einer Beziehung lebe und darüber nachdenke, in den nächsten zwei Jahren Kinder zu bekommen. Als ich entgegnete, dass ich dies auch nicht im Konjunktiv beantwor­ten würde, war eine Bombenstimmung für das anstehende Bewerbungsgespräch garantiert. Das hätte ich wohl auch unter #metoo twittern können; gemeinsam mit Frauen, die jahrelangen Missbrauch, Vergewaltigun­gen, kurz: sexualisierte Gewalt, mit der Öffentlichkeit teilten.

Es folgt die zweite These: Alltagssexismus und sexualisierte Gewalt können zwar gleichzeitig themati­siert werden, aber die Unterscheidung muss allen Diskussionsteilnehmern bewusst sein. Das aber erfor­dert die Fähigkeit zu Reflexion, ein schwieriges Wort in der momentanen politischen Streitkultur.

Eine dritte These: Beide Probleme können gemeinsam angesprochen werden, weil alltäglicher Sexismus oder sexuelle Belästigung den kulturellen Nährboden für sexualisierte Gewalt liefern. Und nein, das heißt im Umkehrschluss nicht, dass jeder, der sich bewusst oder unbewusst sexistisch äußert, gleich der böse Straftäter wird, der jungen Mädchen auf dunklen Parkplätzen auflauert.

Fakten auf den Tisch: Jede vierte Frau in der Europäischen Union hat bereits körperliche oder sexualisiert­e Gewalt erlebt, 45 bis 55 % körperliche oder sexuelle Belästigung. Viele von ihnen haben sich in der #me­too Kampagne, die in den sozialen Netzwerken viral ging, „geoutet“. Ursprünglich aus dem per­fekten Hollywood stammend, schwappte die Kampagne über auf alle Gesellschaftsschichten. Hollywood – so hörte man – sei aber doch ein ganz spezielles Gebiet. Schon. Aber Abhängigkeiten gibt es überall. Fragen Sie mal die alleinerziehende Krankenschwester, die sich verbalen oder körperlichen Übergriffen ihres Vorgesetzten ausgesetzt sieht. Was vereint die Hollywood-Schauspielerin mit der Krankenschwes­ter? Ihr Recht auf sexuelle Unversehrtheit. „Nein heißt Nein“ war überfällig und richtig.

Hoffentlich werden wir in zwanzig Jahren auf diese Entscheidung zurückblicken wie auf die Entschei­dung von 1997, Vergewaltigung in der Ehe strafbar zu machen. Für die Schauspielerin genauso wie für die Krankenschwester ist eine Vergewaltigung eine massive seelische Verletzung. Und ob ein männli­cher Vergewaltiger Filmproduzent oder etwa Verkäufer ist, er sollte die gleiche gesellschaftliche Stigmatisier­ung erfahren. Dass der Straftäter sich dadurch seine „Karriere“ zerstört, hätte er sich vor seinen Taten be­wusst machen können.

Dann folgt oft das Argument: Aber Frauen nutzen doch ihre Attraktivität bewusst aus und kleiden sich oft sexy. Ja, in „sexy“ stecken tatsächlich drei Buchstaben von „Sexismus“ – es hat aber nichts miteinan­der zu tun. Männer und Frauen könnten nackt in Köln über die Domplatte laufen und es hätte niemand das Recht, sie zu berühren. Von daher ist auch die ungefragte Hand auf dem Knie – sei der Rock auch noch so kurz – ein Übergriff. Nur, weil die eine Frau dies nicht als Übergriff, die andere aber schon wer­tet, bleibt die Hand ein No-Go.

Dass der Mann in seiner Männlichkeit eifrig jedem kurzen Rock hinterhereilt, unterstellt ihm doch, dass er seiner sexuellen Triebe nicht „Herr“ sei. Das ist in der Tat noch diskriminierender für den Mann als für die Frau. Deshalb unterstelle ich, im Gegensatz zu Deneuve und Co, dass ein großer Teil der Män­nerwelt schnell weiß, ob er mit seiner verbalen Annäherung landet oder auch nicht – und sie beendet, wenn dies nicht der Fall ist. Und wenn eine halbe Stunde einer sechzigminütigen Polit-Talkshow über Fehlurteile im Bereich sexualisierter Gewalt (Stichwort: Kachelmann) diskutiert wird, dann sollte der Titel des Talks „Justizirrtümer“, nicht aber „Sexismus – Hysterie oder Realität?“ heißen. Das kränkt alle Opfer von sexu­eller Belästigung und Gewalt, die Tag für Tag mit den Auswirkungen leben (müssen).

Fazit: Es gerät in der Diskussion oft vieles durcheinander. Entwarnung: So schwer ist es nicht. Denn im Kern geht es in der Diskussion darum, wie respektvoll Menschen mit anderen Menschen umgehen. Schaf­fen sie das nicht, ist es ein Angriff auf die Menschenwürde – für Mann und Frau. Oder eben Frau und Mann.

Chantal Grede (1991), M. A. in Politikwissenschaft, hat in Trier, Lyon und Bonn Politik­wissenschaft und französische Philologie studiert. Während ihres Studiums sammelte sie Arbeitserfahrungen in verschiede­nen Parlamenten, in der Politikberatung, europäischen und internationalen Zusammenarbeit und im Journalismus. Sie ist Altstipendiatin der Kon­rad-Adenauer-Stiftung und engagiert sich ehrenamtlich für Bildungsgerechtigkeit und im sozial-karitativen Bereich.

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