Die CSU – noch erkennbar ?

Der ehemalige bayrische Kulturminister Hans Maier, seit 1973 Mitglied der CSU,  hält es für ein „tödliches Eigentor“, wenn seine Partei „das Christliche“ durch eine „konservative Revolution“ ersetzen würde und fügt hinzu: „Dass aber die Unionsparteien in den jüngsten Sondierungen den Familiennachzug – vielmehr sein Unterbleiben – zum Koalitionsgebot Nummer eins heraufgespielt haben, ist für mich ein Skandal.“ kreuz-und-quer dokumentiert seinen Brief an die CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag.

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In einem Brief an die CSU-Landesgruppe und ihren Vorsitzenden Alexander Dobrindt erinnert der ehemalige bayrische Kulturminister Hans Maier Mitte Januar 2018 an die Wurzeln der Union und warnt davor das „Christliche“ durch eine „konservative Revolution“ zu ersetzen.

Hans Maier

Die  CSU – noch erkennbar?

Was Parteien erkennbar macht, sind nicht nur ihre Programme. Es ist ihre Sprache, ihr Tonfall, ihr Auftreten in der Öffentlichkeit. Worüber Herr Schulz, Frau Nahles, Herr Scholz im einzelnen sprechen, mag verschieden sein – doch wie sie sprechen, welche Worte und Wendungen sie gebrauchen, das legt beim Publikum sofort den Schluss nahe: Aha, Sozialdemokraten! Ähnlich ist es bei der FDP, den Grünen, der Linken, der AfD: einige Sätze, und wir wissen sogleich: das sind die und keine anderen.

Die Unionsparteien hatten bis vor kurzem einen vergleichbaren gemeinsamen Ton. Sie unterschieden sich hörbar von ihren parteipolitischen Konkurrenten. Das hängt damit zusammen, dass sie – kühn genug – bei ihrer Gründung in den Jahren 1945/46 zwei neue Worte gebrauchten, die bis dahin im deutschen Parteienspektrum nahezu unbekannt waren: das Wort „christlich“ und das Wort „Union“.  Christlich: das sollte daran erinnern, dass nach einer „Staats- und Gesellschaftsordnung ohne Gott, ohne Gewissen und Achtung vor der Würde des Menschen“ (so die Bayerische Verfassung von 1946) nun eine neue, andere Zeit gekommen sei. Und Union: das sollte nach dem Willen der Gründer und Namengeber Hermes, Stegerwald und Josef Müller daran erinnern, dass künftig Protestanten und Katholiken in einer gemeinsamen Partei zusammenarbeiten wollten –  vereint und nicht mehr getrennt wie vierhundert Jahre lang  zum Unheil der deutschen po- litischen Kultur.

Gewiss, das ist heute nicht mehr so selbstverständlich wie früher.  Das religiöse Spektrum, nach 1945 noch mächtig, ist ausgedünnt; die Zeit ist absehbar, in der Christen auch in Deutschland nicht mehr die Mehrheit, sondern eine Minderheit bilden werden. In Ostdeutschland ist das schon jetzt der Fall. Das kann aber für die CDU und für die CSU kein Anlass sein, ihre Herkunft zu verleugnen oder sie gar als Peinlichkeit zu betrachten. Im Gegenteil: in der wachsenden Profillosigkeit von heute ist Treue zu den Anfängen eine dringend gebotene Tugend; nur so kann neue Orientierung entstehen.

Es ist auch ein Irrtum zu meinen, mit dem Rückgang des kirchlich verfassten Christentums habe „das Christliche“ überhaupt sein Gewicht verloren. Das Gegenteil ist der Fall. Oft sind christliche Antriebe auch außerhalb der Kirchen wirksam. Woraus nähren sich denn die Hilfe für Schwache, die Sorge um die Menschenwürde, das Eintreten für die Verfolgten, wenn nicht aus den Antrieben der Zehn Gebote und der Botschaft Jesu? Wäre unser Sozialstaat ohne den Antrieb der Nächstenliebe entstanden? Ist unser Asylrecht historisch ganz ohne Bezug zu dem Schutz, den Kirchen als Räume des Friedens seit jeher gewährten? Nein, die christlichen Überlieferungen bleiben aktuell, mögen säkulare  Gegenströmungen noch so mächtig sein.

Leider ist die überwältigende Offenheit gegenüber Verfolgten und Vertriebenen, die sich vor zwei Jahren in der Bevölkerung zeigte, inzwischen an vielen Stellen einem Klima der Ängstlichkeit, des Kleinmuts gewichen. Natürlich muss man politische und soziale Hilfe  den realen Möglichkeiten anpassen, die nie unbegrenzt sind. Gewiss muss man sich auch gegen Missbrauch schützen. Dass aber die Unionsparteien in den jüngsten Sondierungen den Familiennachzug – vielmehr sein Unterbleiben – zum Koalitionsgebot Nummer eins heraufgespielt haben, ist für mich ein Skandal.

Die CDU, vor allem aber die CSU, der ich seit 1973 angehöre, müssen, wenn sie ihre beträchtlichen Erfolge fortsetzen wollen, mit sich selbst im Reinen bleiben. Sie müssen erkennbar bleiben – eine Einheit von Adenauer bis zu Merkel, von Schäffer bis zu Söder. Zur Erkennbarkeit gehört auch das christliche Erbe. Es ist nach wie vor lebendig und keineswegs ein Haufen Asche. Es muss sichtbar werden durch Beispiele – und durch eine Sprache, die einlädt und nicht ausgrenzt.

Kann man „das Christliche“ ersetzen – oder massiv ergänzen – durch eine „konservative Revolution“? Alexander Dobrindt hat es bei der Klausurtagung der CSU-Landesgruppe in Seeon jüngst versucht. Ich kann vor einem solchen Versuch nur warnen. Die Christlich-Soziale Union war stets – ich kann mich auf Franz Josef Strauß berufen – ebenso fortschrittlich wie konservativ, ebenso patriotisch wie europäisch. Sie auf eine „konservative Revolution“ – eine Formel aus Zeiten unmittelbar vor Hitler – zu verpflichten wäre Selbstverleugnung, parteipolitisch ein tödliches Eigentor. Hoffentlich zieht in die Geschichte der CSU bald wieder ein wenig geschichtlicher Sinn, Urteilskraft und Blick auf das Ganze ein. Auch ein wenig Humor würde nicht schaden – damit einem der eigene nicht vergeht.

Hans Maier (1931) wurde 1962 Professor für Politische Wissenschaft an der Ludwig-Maximilian-U­niversität München und war 1970 bis 1986 Bayerischer Staatsminister für Unterricht und Kultus so­wie von 1976 bis 1988 Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. 1988 bis 1999 war er ordentlicher Professor für christliche Weltanschauung, Religions- und Kulturtheorie an der Universi­tät München (Guardini Lehrstuhl).

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