POPULISMUS UND DEMOKRATIE

Benjamin Höhne erläutert  warum Populismus für die Demokratie nicht nur schlecht sein muss und wie man ihm begegnen kann.

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Benjamin Höhne

Populismus und Demokratie

Warum Populismus für die Demokratie nicht nur schlecht sein muss
und wie man ihm begegnen kann

Populismus ist eine über Deutschland hinaus verbreitete Erscheinung, die sich durch einen „volksnahen“ Stil der politischen Kommunikation von Parteien auszeichnet, deren Protagonisten nicht an einer verantwortlichen Lösung politischer Probleme interessiert sind, sondern auf bloße Stimmungsmache und größtmöglichen Stimmenfang setzen. Im Zuge dessen wird manche etablierte Partei zurechtgestutzt, manche gleich ganz davon geblasen, manche verschwindet in der politischen Versenkung. Andere Parteien wiederum klammern sich im Gegenwind aneinander oder lassen sich dazu hinreißen, ebenfalls populistische Töne anzustimmen.

Schenkt man den Worten von Angela Merkel oder Jean-Claude Juncker Glauben, ist Populismus für die Demokratie gefährlich. Diese Einschätzung muss man jedoch nicht teilen. Im Gegenteil, es besteht überhaupt kein Grund zum Alarmismus. Entscheidend beim Umgang ist nicht dessen Verteufelung, sondern der Glaube an die Demokratie und das Eintreten für eben jene. Gelassenheit ist angebracht. Nicht jeder Effekt des Populismus ist schlecht. Vor allem: Es kann ihm begegnet werden.

Parteienkonstellation in Bewegung

Bei der jüngsten Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern hatten die etablierten Parteien eines gemeinsam: Sie haben prozentual an Stimmen eingebüßt. Einziger Gewinner war die Alternative für Deutschland. Die Grünen verlassen den Landtag in Schwerin, ebenso die NPD. Erneut an der Sperrklausel gescheitert sind die Liberalen. Die Linken verbuchen eines ihrer schlechtesten Wahlergebnisse innerhalb ihrer angestammten Region, dem Osten der Republik. Sozialdemokraten und Christdemokraten rücken wieder zusammen und bereiten die Neuauflage einer – allerdings geschrumpften – Großen Koalition vor. In Berlin würde es nach der Abgeordnetenhauswahl im September dieses Jahres nicht einmal mehr dafür reichen; dafür ziehen dort die Liberalen wieder ein und die Postsozialisten besetzen ein paar mehr Sitze als bisher. Bei den akkordartig mahnenden Worten von Christsozialen aus Bayern, die vermeintlichen Sorgen und Nöte der Menschen „endlich“ ernst zu nehmen, schimmert nur allzu deutlich die Angst vor der Konkurrenz von rechts durch. So oder so ähnlich wird es wohl bei den kommenden Wahlen im Saarland, in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen bis zur Bundestagswahl im Herbst 2017 weitergehen.

Erfolgsrezept der „Alternative“

Nach derzeitiger Stimmungslage würde die AfD ohne Anstrengung in den Bundestag ziehen. Keine allzu große Hoffnung sollte man sich machen, dass sie sich von selbst „zerlegt“. Wahlerfolge und Parlamentsmandate übertünchen schwelende innerparteiliche Kontroversen, zumindest derzeit. Viel eher sollte man sich darauf einstellen, dass sie länger überdauern wird als Schill-Partei oder Statt Partei, die sich nur mit Mühe eine Legislaturperiode und auch nur in einem Landesparlament halten konnten. Anders als die kleinen rechtspopulistischen Vorläufer zeigt sich die selbsterklärte „Alternative“ thematisch flexibler und sensorisch nicht ungeschickt darin, immer diejenige Welle zu reiten, die gerade ein „Top-Aufreger“ ist. Dies war zuerst die Euro- und Finanzkritik. Seit dem vergangenen Jahr bzw. nach der Abspaltung ihres Wirtschaftsflügels ist es das Megathema „Geflüchtete“. Unabhängig von Themenkonjunkturen besitzen die Rechtspopulisten Rückhalt in einem Milieu, zu dem Personen gehören, die mit der etablierten Politik unzufrieden sind, sich von ihr überfordert oder abgehängt fühlen, die Abstiegs- und Überfremdungsängste haben, Unbehagen am Fortschritt generell empfinden oder einfach nur demokratiemüde sind und sich bereitwillig von Provokationen à la Trump unterhalten lassen.

Kompromiss + Verantwortung = Parteiendemokratie

Gewiss muss Politik kritisiert werden können. Sicherlich läuft auch nicht alles so, wie es sich jedermann wünscht. Doch es gibt in der Demokratie nun mal keine einhundertprozentige Zufriedenheits-Garantie für jedermann. Anders als die AfD tragen CDU, CSU, SPD, Bündnisgrüne, FDP und sogar die gelegentlich das Gewand einer Protestpartei tragende LINKE im Bund und/oder in den Ländern Regierungsverantwortung. Deren politisches Gestaltungsvermögen wird eingeschränkt durch mindestens einen, zunehmend sogar zwei Koalitionspartner. Zudem sind geltende Gesetze, Haushaltsrestriktionen, bürokratische Prozeduren und miteinander verflochtene Abhängigkeiten von Land, Bund und Europa zu bedenken. Mit solchen Restriktionen muss sich die AfD nicht auseinandersetzen, geschweige denn arrangieren. Kompromisse braucht sie nicht einzugehen. Sie spielt nur die populistische Karte. Bestens versteht sie sich darauf, vereinfachte Antworten auf schwierige Fragen zu geben, selbst wenn sie außerhalb miefig-piefiger Stammtische in Hinterzimmern gar niemand gestellt hat.

Populismus aktiviert Demokraten

Dieser Stil der politischen Kommunikation verfängt in Teilen der Bevölkerung. In anderen ruft er jedoch Ablehnung hervor. Mobilisierung führt zu Gegenmobilisierung. So ist die Wahlbeteiligung bei allen Landtagswahlen in diesem Jahr gestiegen, in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt um zehn Prozentpunkte, in Rheinland-Pfalz um neun, in Berlin um knapp sieben und in Baden-Württemberg auf einem höheren Ausgangsniveau immerhin um vier. Der Trend sinkender Wahlteilnahme ist nicht nur gestoppt, sondern hat sich umgekehrt. Dies kann zunächst einmal als ein gutes Zeichen interpretiert werden, ist doch jede Spielart der Demokratie auf die Bereitschaft möglichst vieler Bürgerinnen und Bürger angewiesen, eigene politische Präferenzen zu bekunden und vor allem einzubringen.

Nicht minder wichtig sind verantwortungsvoll gegenüber gesellschaftlichen und politischen Gesamtzusammenhängen handelnde Politiker mit Identifikationspotenzial und einer breitenwirksamen Ausstrahlungskraft. Vielleicht lässt sich aus der Geschichte demokratischer Staatlichkeit die Anregung gewinnen, dass Demokratie und politische Führung auch in der mit individuellen Mitgestaltungsoptionen angereicherten Repräsentanten-Demokratie des 21. Jahrhunderts in einem fruchtbaren Spannungsverhältnis zueinanderstehen können, so wie sie es in der originär plebiszitären Demokratie vor unserer Zeitrechnung einst taten.

Demokratie und politische Führung gehören zusammen

Demokratie war von Anbeginn an eng mit politischer Führung verbunden. Die attischen Stadtstaaten organisierten ihre Meinungsbildung plebiszitär. Entscheidungen wurden aus der Mitte des partizipationsberechtigten Bürgertums heraus getroffen, direkt und unmittelbar. Genauso bekannt ist die Wiege der Demokratie aber für ihre charismatischen Führer. Auf festem demokratischen Grund bildete sich eine politische Führerschaft heraus, die dann besonders erfolgreich war, wenn sie auf die Befindlichkeiten der Bürger einging, sie mit rhetorischem Geschick für Ideen und Ziele begeisterte, auch im Schlagabtausch konträrer Argumente, Mehrheiten bildete und auf dieser Basis politische Handlungsfähigkeit herstellte. Die Leistungsstärke der direkten Demokratie zeigte sich gerade in Krisensituationen, bei denen weniger der Diskurs, sondern mehr die Entschlossenheit ihrer Anführer geboten waren.

Kehrseite der Parteikarriere

Verglichen mit Perikles & Co. mutet der typische Politiker in der konstitutionell repräsentativ verfassten Demokratie unserer Zeit mitunter etwas „blutleer“ an. Popularität ist nicht gerade seine ihn rühmende Eigenschaft. Üblicherweise hat er eine Parteikarriere durchlaufen, die mit jedem Aufstieg charakterliche Ecken und Kanten schleift und zugleich das Denken in Schemen der ihn einhegenden Organisation verstärkt. Dieser Effekt ist für das reibungslose Funktionieren einer parteienstaatlichen Ordnung durchaus dienlich, finden die bereits angesprochenen inhaltlichen, institutionellen und verfahrenstechnischen Zwänge doch so eine personelle Entsprechung. Genau diesen Kräften der individuellen Mäßigung durch Organisationen entziehen sich jedoch die Populisten. Angesichts der von ihnen ausgehenden asymmetrischen Auseinandersetzung überrascht es nicht sonderlich, dass ihnen seitens der politischen Öffentlichkeit zumeist nur wenig entgegensetzt wird. Mancher Politiker wirkt geradezu hilflos, wenn er auf einen Vertreter der AfD trifft.

Besser politisch kommunizieren, einen neuen Politikertypus suchen

Neue Herausforderungen verlangen neue Schritte, einen bietet die politische Kommunikation, einen anderen die politische Rekrutierung. Mit dem seit Jahrzehnten kultivierten „Politikersprech“, von dem sich heutzutage nicht einmal mehr die Funktionäre auf einem Parteitag so richtig angesprochen fühlen, können Bürgerinnen und Bürgern, die sich Sorgen machen, nach politischen Antworten suchen oder einfach nur „gut“ politisch geführt werden wollen, nicht mitgerissen werden. Woran es mangelt sind Politikerinnen und Politiker, die die Vielfältigkeit der heutigen Lebenslagen mit all ihren Ambivalenzen anhand der eigenen Persönlichkeit und Biographie authentisch verkörpern. Das Sprechen einer – im übertragenen Sinne – gemeinsamen Sprache ist wichtig, Ansprechbarkeit ebenfalls. Auch mit Emotionen sollte nicht gegeizt werden.

Es ist an der Zeit, auf den populistischen Wirbelwind zu reagieren. Einen neuen Politikertypus braucht das Land. Dies geht sicherlich nicht „von jetzt auf gleich“. Jedoch können Wege dafür schon heute bereitet werden. Aktuell stehen die Kandidatenaufstellungen zur kommenden Bundestagswahl an. Was spräche dagegen, die Dezentralität und Autonomie der Kreisverbände der Parteien zu nutzen und mit der Öffnung der Nominierungsverfahren für Bürgerinnen und Bürger, auch ohne Parteibuch, zu experimentieren?

Dr. Benjamin Höhne (1978) lehrt an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Politikwissenschaft im Bachelor- und Master-Studiengang, im Wintersemester 2016/17 zum Thema: „Der Wahlkampf zur Bundestagswahl 2017. Personen – Themen – Strategien.“

 

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