WILLKOMMEN IN DER KLIMAPOLITIK

Reinhard Stuth plädiert für eine offene Debatte über die Kosten des Klimawandels und sieht im Mittelstand die Zukunftsperspektive der Energiepolitik.

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Reinhard Stuth

Willkommen in der Klimapolitik

Eigentlich ist mit der Energiepolitik alles ganz einfach. Atomenergie ist unbezahlbar und niemand will ein Endlager in der Nähe. Kohle schadet dem Klima, der Gesundheit, der Landschaft und ist volkswirt­schaftlich viel zu teuer. Gas macht abhängig von Lieferländern mit zweifelhaftem Ruf. Erneuerbare Energien kosten ebenfalls Geld und Windräder stören die Sicht. Die großen Strom-Übertragungsleitun­gen stehen allen im Weg.

Deutsche Energiepolitik hat für diese schwierig anmutende Lage eine einfache Antwort: Der Staat sub­ventioniert alles gleichzeitig. Fast alle sind zufrieden: Die Kohle-Freunde in Nordrhein-Westfalen und Brandenburg, die Elefanten der alten Energiewirtschaft, die gestützt werden, weil sie viel zu spät auf die Anforderungen der Klimapolitik reagierten, der Bundesfinanzminister, der sich über die Doppelbesteue­rung durch Stromsteuer sowie Umsatzsteuer auf die EEG-Umlage freut, und der bayerische Ministerprä­sident, weil die Übertragungsnetz-Betreiber die neuen Leitungen in der Erde verbuddeln – koste es, was es wolle.

Es gibt aber auch Verlierer: Die gewerblichen und privaten Verbraucher und der Mittelstand. Der Bun­destag verstärkt diese Nachteile, indem er Mittelstand und Haushalte bei der EEG-Umlage zusätzlich be­lastet, um so die besonders energieintensive Großindustrie von der Umlage zu befreien. Und die Mittel­standsvereinigung der CDU/ CSU kämpft für die großen Kohle-Oligopole und lässt die weitgehend mit­telständisch geprägte Erneuerbare Energien-Branche politisch im Stich.

Diese Energiepolitik klingt unvernünftig und sie ist es auch. Sie braucht einen neuen Kompass. Fünf Fixpunkte seien genannt:

Der Strombedarf nimmt rapide zu

Bislang debattierte Deutschland überwiegend über Strom. In Zukunft werden Mobilität und Wärme gleichrangig. Die Mobilität steht in einem radikalen Wandel: Strom wird Öl als Leitenergie ablösen. Egal, ob die Fahrzeughersteller sich für die Batterie-, Wasserstoff- oder eine hybride Technologie ent­scheiden: Die künftige Mobilität ist weitgehend elektrisch. GIeiches gilt für die Wärmeversorgung. Das ist in Deutschland auch politisch gewollt und gefördert.

Aus Gründen der Wirtschaftlichkeit und zur Sicherung der Netzstabilität führt diese neue Stromnachfra­ge zu einer weitgehenden Markt- und Infrastruktur-Koppelung der bisher getrennten Sektoren Strom, Mobilität und Wärme. Energiepolitik heißt in Zukunft: Ausreichend Strom bereit stellen.

Der steigende Strombedarf wird aus erneuerbaren Energien gedeckt

Diese stark zunehmende Strom-Nachfrage können wir in Deutschland überwiegend aus erneuerbaren Energien decken. Der Ausstieg aus der Atomenergie ist unwiderruflich. Eine Rückkehr zur Braun- und Steinkohle wäre ein Bruch des Klimaabkommen von Paris. Die massive Vergrößerung des Erdgas-An­teils beeinträchtigte die Versorgungssicherheit.

Nur die erneuerbaren Energien garantieren eine sichere, klimaschonende und kostengünstige Versor­gung. Die Gestehungskosten für Wind- und Solarstrom sinken von Jahr zu Jahr. Bei einer volkswirt­schaftlichen Gesamtrechnung sind sie heute schon mit Kohle-Kraftwerken wettbewerbsfähig. Die erneu­erbaren Energien werden zur Leitenergie der Welt.

Aus Energie-Importen werden heimische Investitionen. Der wirtschaftliche und technologische Nutzen ist offenkundig.

Es geht vorrangig um Klimapolitik

Die deutsche Energiedebatte ist oft auf wenige Kostenaspekte verengt. Dieses führte zwar zur sinnvollen Überführung der erneuerbaren Energien in den Wettbewerb. Deutschland hinkt aber vielen Industrielän­dern von Kanada über Chile bis Japan und China hinterher. Spätestens seit den Klima-Zielen von Paris gilt eine neue Zeitrechnung.

Politische Verantwortung verlangt dringender denn je eine offene Debatte über die enormen Kosten, die Bürgern, Verbrauchern, Landwirtschaft, Industrie und heimischer Natur durch den Klimawandel entste­hen. Zunehmend Hochwasser in Bayern, Starkregen in Nordrhein-Westfalen, Sandsturm in Mecklen­burg, häufige Waldbrände, extrem teurer Küstenschutz in Hamburg – der Klimawandel kommt unser Land immer teurer zu stehen. Hinzu kommen einschneidende Maßnahmen gegen Feinstaub in den Städ­ten.

Klimapolitik ist Haushalts-, Wirtschafts- und Generationenpolitik. In der globalisierten Welt ist Klima­politik eine Frage von Gesundheit, Lebensqualität, Lebenserwartung und zunehmend von Frieden und Flüchtlingen. Andere Länder erkannten vor uns: Gewinner ist, wer als erster Lösungen gegen den Kli­mawandel entwickelt und am Markt anbietet.

Wichtig ist daher ein wirksamer Preis für den CO₂-Ausstoß. Deutschland sollte auf die Reform des EU-Treibhausgas-Emissionshandels drängen. Dieses ist auch ein Thema der Marktwirtschaft und Gerechtig­keit.

Dezentrale Erzeugung, Speicherung, Verteilung und digitale Vernetzung prägen die Energiever­sorgung

Die Energieversorgung der Zukunft wird vernetzter, regionaler und dezentraler. Hierfür gibt es schon Lösungen. Sie haben neue Namen: Elektromobilität, Speicherung, Digitalisierung. Alles wird intelligen­ter, technologie- und IT-orientierter.

Das Beispiel der Speicher zeigt: Vom Batteriespeicher im Keller des Privathauses bis zum Wasserstoff-Großspeicher der Industrie bringt die neue Energiewelt allen gute Chancen. Immer mehr Kleinunterneh­mer, Landwirte, Mittelständler und Bürger erzeugen oder speichern selber Strom. Sie sind zu unter­schiedlichen Zeiten des Tages, des Monats mal Nachfrager, mal Anbieter von Elektrizität.

Die Politiker in Deutschland sollten die großen neuen Chancen für Informatiker, Ingenieure, Techniker und Handwerker erkennen und nutzen.

Der Mittelstand hat die technischen, finanziellen und regionalensungen

Die Energieversorgung der Zukunft bringt mehr Markt und mehr Wettbewerb. Die erneuerbaren Energi­en sind von der Projektierung über den Bau und die Finanzierung bis zum Betrieb geprägt durch innova­tive, dynamische, kleine und mittlere Unternehmen. In der alten Energiewelt der Atom- und Kohlekraft­werke gab es dagegen nur wenige Elefanten. Sie wurden immer träger und verteilten über viele Jahre ihre riesigen Überschüsse statt zu investieren. Jetzt suchen sie Schutz bei Vater Staat. Eine soziale Ab­federung des Strukturwandels ist gut. Aber Wettbewerb geht anders.

Der Mittelstand beweist dagegen jeden Tag aufs Neue, dass er schnell und wendig genug ist, die benö­tigten technischen, finanziellen und regionalen Lösungen bereit zu stellen und Versorgungssicherheit vor Ort zu gewährleisten.

Der Mittelstand ist vor Ort verwurzelt. Er kann lokale und regionale Lösungen verwirklichen und regio­nale Wertschöpfung garantieren. So erreicht er weitaus erfolgreicher Einvernehmen und Beteiligung der Menschen und der Kommunalpolitiker vor Ort. Das klimapolitisch Notwendige kann eben nur gelingen, wenn die Menschen durch Wertschöpfung, finanzielle und politische Beteiligung sowie Respekt vor der Natur überzeugt werden.

Am Ende geht es für alle Beteiligten darum, die neue Energiewelt mit zu gestalten als nur von ihr gestal­tet zu werden.

 

Reinhard Stuth (1956), war persönlicher Referent von Bundespräsident von Weizsäcker, Leiter der Bü­ros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Prag und Bratislava sowie Staatsrat, Bevollmächtigter beim Bund und bei der EU sowie Senator in Hamburg. Seit 2009/ 2011 ist er Unternehmer (Geschäftsführer Han­Bao Neue Energien GmbH) und Rechtsanwalt.

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