FÜR EINEN NEUANFANG DER STASI-UNTERLAGEN-BEHÖRDE

Hildigund Neubert begrüsst  als ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin , dass der Bundestag bei seiner Entscheidung über die Stasi-Unterlagen-Behörde nicht den Empfehlungen aus der Wissenschaft, sondern  denen gefolgt ist, die ihre biografische und po­litische Erfahrung ein­bringen.

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Hildigund Neubert

Für einen Neuanfang der Stasi-Unterlagen-Behörde

Eine vom Bundestag bestellte Expertenkommission hat die Abschaffung des Stasi-Unter­lagen-Gesetzes und des Amtes des Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen binnen fünf Jahren empfohlen. Die Stasiakten sollten ins Bundesarchiv, die politische Bildung an die Bundeszentrale für politische Bildung und die Bundesstiftung Aufarbeitung gehen, der Bundesbeauftragte sich um die Opfer kümmern und ein Forschungsinstitut noch ein bisschen weiterkramen. Warum das besser sein soll als die bisherige Struktur wird nicht begründet.

Ich habe als einziges Mitglied der Kommission dem nicht zugestimmt und ein Minder­heitsvotum abgegeben. In einer Anhörung lehnten auch die Opferverbände und die meisten Aufarbeitungs­institutionen die Vorschläge ab. Zustimmung kam u.a. vom Bun­desarchiv und von der Bundes­zentrale für politische Bildung. Überraschend war, dass auch der derzeitige Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen Roland Jahn zustimmte.

Am 9. Juni hat der Bundestag nun Roland Jahn auf der Grundlage des StUG wiederge­wählt und einen Beschluss unter der Überschrift „Die Aufarbeitung der SED-Diktatur konsequent fortfüh­ren“ verabschiedet. Darin heißt es, „auch fast drei Jahrzehnte nach der Friedlichen Revolution“ müsse „politisches Handeln den Interessen der Opfer der SED-Diktatur gerecht werden.“ Man habe „sich darauf verständigt, den Transformati­onsprozess der Stasiunterlagenbehörde aus dem Amt des Bundesbeauftragten für Stasi­unterlagen heraus einzuleiten.“ Manchmal liegt Klugheit eben nicht in den Interessen der Wissenschaft, sondern bei denen, die ihre biografische und po­litische Erfahrung ein­bringen.

Für Roland Jahn ist die neue Amtszeit eine Herausforderung und eine Chance. Der Pro­test aus den Opferverbänden und der Gesellschaft hat ihm die Behörde noch einmal ge­rettet. Nun kann er die notwendigen inneren Reformen angehen, die Verwaltung ver­schlanken, die Akten-Er­schließung vorantreiben und vor allem die Akteneinsichtsanträge zügig bearbeiten, denn die Be­fristung der Rehabilitierungsgesetze mahnt zur Eile. Auf dem Feld der politisch-historischen Bil­dung ist der Bedarf immer noch größer als das An­gebot. Und er kann weiterhin die rechtsstaatli­che und unabhängige Aufarbeitung die­ses größten Unterdrückungsapparates der SED vorantrei­ben.

Der Deutsche Bundestag sollte ihm dabei alle notwendige Unterstützung zukommen las­sen. Das heißt zu allererst, die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen, um endlich die materielle Si­tuation der Archive auf einen vernünftigen technischen Stand zu brin­gen.

Dringend muss der Bundestag aber seine Verantwortung zur Kontrolle der Behörde wahrneh­men. Das Organ dafür ist der Beirat nach §39 StUG. Die Mitglieder des Beirats werden vom Bun­destag gewählt bzw. eingesetzt. Der Beirat kann sich aus eigener Initia­tive nach §39 Abs. 5 des Gesetzes über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (StUG )„in wichtigen Angelegenheiten an den Deutschen Bundestag wenden“. Das ist nie geschehen. Auch Verschwiegenheits­pflicht besteht nur über die „nicht offenkundigen personenbezogenen … und sonstigen vertraulichen Informationen“ (§39 Abs.4 StUG), so dass auch die Kontrolle der Öffent­lichkeit greifen könnte. Aber bisher hat der Beirat, seit 1998 unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Richard Schröder, fast wie ein Geheimbund getagt und nur sehr selten eine öffentli­che Erklä­rung abgegeben.

Und nun fordern Prof. Dr. Schröder, Prof. Dr. Manfred Wilke, wie Schröder von Anfang an im Beirat, Prof. Dr. Horst Möller und Prof. Dr. Hans-Joachim Veen, Vorsitzender des 2007 eingeführ­ten wissenschaftlichen Beratungsgremiums nach §39a StUG zusammen mit Prof. Dr. Angelika Menne-Haritz und Prof. Dr. Klaus-Dietmar Henke als Mitglieder der Expertenkommissi­on die Zerschlagung der Behörde und die Abschaffung des StUG. Was haben die Beiräte in den letzten 25 Jahren dann eigentlich getan? Sie sind für den Reformbedarf der Behörde jedenfalls mitverantwortlich. Es ist Zeit, dass diese Beiräte endlich zurücktreten und Platz machen für Per­sönlichkeiten, die das Stasiunterlagen-Ge­setz und die Arbeit der Behörde schätzen, unterstützen und mit neuen Ideen vorwärts bringen.

Die Abgeordneten der letzten Volkskammer, die Bürgerrechtler und die Leute auf der Straße ha­ben 1990 die Behörde erstritten. Sie ist über ihre sachlichen Funktionen hinaus das Symbol der Friedlichen Revolution – der einzigen selbst errungenen erfolgreichen demokratischen Erneue­rung – in Deutschland. Manchmal können sogar Bundestagsbe­schlüsse Weisheit enthalten:

„Darüber ist mit großer Sorgfalt, Sachverstand und Bedacht zu entscheiden. Der Zugang zu den Stasiakten, der besondere Charakter und Symbolwert des Stasiunterlagenarchivs sowie die in­ternationale Vorbildwirkung des Stasi-Unterlagen-Gesetz (StUG) müssen er­halten werden.“

Dem ist nichts hinzuzufügen.

Hildigund Neubert (1960) war 2003 bis 2013 Thüringer Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen und ist Vorsitzende des Bürgerbüro e.V. Verein zur Aufarbeitung der SED-Diktatur., stv. Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung und Mitherausgeberin von kreuz-und-quer.de. Sie war Mitglied der Expertenkommission des Deutschen Bundestages zur Zukunft des BStU)

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