Zur Böhmermann-Debatte: Die Justiz übernimmt

Helge Matthiesen, Chefredakteur des Bonner General-Anzeiger, meint: Die Freiheit der Kunst oder die Pressefreiheit gehen in Deutschland nicht unter, wenn ein Gericht sich mit dem Streit zwischen dem Satiriker Jan Böhmermann und dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan beschäftigt.“ Neben dem seinem Kommentar finden Sie hier auch den Wortlaut der Erklärung der Bundeskanzlerin, „hinsichtlich des Moderators Jan Böhmermann wegen dessen Sendungsabschnitts über Präsident Erdogan … die Strafverfolgung des speziellen Delikts der Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten“ zuzulassen.

Kommentar im Bonner General-Anzeiger vom 16. April 2016

Helge Matthiesen

Die Justiz übernimmt

Über die Entscheidung im Fall Böhmermann

Angela Merkel hat richtig entschieden. Beleidigungen sind ein Fall für die Justiz. Die Freiheit der Kunst oder die Pressefreiheit gehen in Deutschland nicht unter, wenn ein Gericht sich mit dem Streit zwischen dem Satiriker Jan Böhmermann und dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan beschäftigt. Das kommt in anderen Konstellationen tagtäglich vor. Zwischen den Rechten von Journalisten oder Künstlern und den allgemeinen Persönlichkeitsrechten gibt es ein naturgegebenes Spannungsverhältnis. Das wissen Schriftsteller, die zu offen über intime Erfahrungen schreiben oder Journalisten, die gerne zuspitzen. Streit lässt sich aus der Welt schaffen, wenn nicht einvernehmlich, dann eben vor Gericht. Es ist dabei vollkommen fehl am Platze, Deutschland zu einer Art Wagenburg der aufrechten Streiter für die Freiheit der Kunst zu erklären. Auch ein Mensch wie Erdogan muss sich nicht beschimpfen lassen. Die Situation der Medien in der Türkei wird ja nicht besser, wenn man in Deutschland an dieser Stelle mit zweierlei Maß messen würde und Erdogan sein Recht verweigerte.

Klug ist auch der zweite Teil der Entscheidung. Der aus dem 19. Jahrhundert stammende Paragraf 103 des Strafgesetzbuches soll verschwinden, weil er sich überlebt hat. Wer sich angegriffen fühlt, geht direkt zum Gericht. Das hat auch Erdogan getan, indem er als Privatmann klagte. Die Bundesregierung muss dann nicht mehr politisch bewerten, ob ihr diese Klage passt oder nicht. Das enthebt sie der Aufgabe, ein Schmähgedicht wie das von Böhmermann im Namen der Kunstfreiheit verteidigen zu müssen.

Beunruhigend am Fall Böhmermann sind nicht diese juristischen Fragen, die vermeintliche Bedrohung von Freiheitsrechten. Was ist das eigentlich für ein Land, das den Streit um ein schlechtes Gedicht zur Staatsaffäre macht? Woher rührt diese Lust, sich über Kleinigkeiten zu erregen und sie zur Entscheidung über Sein und Nichtsein, zu Grundsatzfragen zu stilisieren? Es fehlt der politischen Kultur in Deutschland an souveräner Gelassenheit, an der Fähigkeit, klein von groß und wichtig von unwichtig zu unterscheiden. Hier unterscheidet sich die deutsche Öffentlichkeit nicht von Erdogan, der das offensichtlich auch nicht beherrscht. Schließlich hätte er die Satire einfach ignorieren können. Nicht jeder politische Streit ist ein Angriff auf die zen-tralen Güter der Demokratie und es ist gewiss ein Fehler, politische Debatten bevorzugt in hysterischem Tonfall zu führen.

Wohin das führt, zeigt eindrucksvoll der Streit um die Flüchtlingspolitik. Vernunft hat es in Deutschland derzeit doppelt schwer sich durchzusetzen. Und dabei sind doch alle stolz auf den liberalen Geist dieses Landes und fühlen sich Erdogan turmhoch überlegen. Warum eigentlich? Das Land braucht mehr Gelassenheit und Böhmermann einen Ghostwriter. Das politische Dichten ist nicht sein Talent.


Dr. Helge Matthiesen, gebürtiger Schleswig-Holsteiner, hat für verschiedene Regionalzeitungen gearbeitet und ist seit Anfang 2015 Chefredakteur des Bonner General-Anzeiger.

 

Die Erklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel im Fall Böhmermann im Wortlaut (13. April 2016)

„Meine Damen und Herren,

mit Schreiben vom 7. April 2016, eingegangen im Auswärtigen Amt am 8. April 2016, hat die Republik Türkei ein Strafverlangen hinsichtlich des Moderators Jan Böhmermann wegen dessen Sendungsabschnitts über Präsident Erdogan gestellt.

Gesetzliche Voraussetzung für die Strafverfolgung des speziellen Delikts der Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten ist eine Ermächtigung der Bundesregierung. Die Bundesregierung hat dieses Ersuchen entsprechend der Staatspraxis geprüft. An dieser Prüfung waren das Auswärtige Amt, das Bundesjustizministerium, das Bundesinnenministerium und das Bundeskanzleramt beteiligt. Es gab unterschiedliche Auffassungen zwischen den Koalitionspartnern Union und SPD. Im Ergebnis wird die Bundesregierung im vorliegenden Fall die Ermächtigung erteilen.

Ich möchte dazu gerne näher Stellung nehmen: Die Türkei ist ein Land, mit dem Deutschland eng und freundschaftlich verbunden ist – über die vielen Menschen mit türkischen Wurzeln hier im Land, über enge wirtschaftliche Verflechtungen und über unsere gemeinsame Verantwortung als Alliierte in der Nordatlantischen Allianz. Die Türkei führt Verhandlungen für einen Beitritt zur Europäischen Union. In dieser engen Partnerschaft sind die gegenseitige, auch völkerrechtlich geschuldete Achtung ebenso wie der offene Austausch zu den Entwicklungen des Rechtsstaats, der Unabhängigkeit der Gerichte und des Meinungspluralismus von besonderer Bedeutung. Umso mehr erfüllen uns die Lage der Medien in der Türkei und das Schicksal einzelner Journalisten wie auch Einschränkungen des Demonstrationsrechts mit großer Sorge.

Die Bundesregierung wird auch in Zukunft auf allen Ebenen die Postulate von Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und Pluralismus gegenüber der Türkei anmahnen. Wir treten dafür ein, dass bei unseren Partnern und Verbündeten die Freiheit der Meinung und die Unabhängigkeit der Justiz in gleichem Umfang wie in Europa und anderen Ländern der demokratischen Welt gewährleistet sein müssen. Wir setzen uns gegenüber anderen Staaten dafür ein, Grundrechte wie die Meinungsfreiheit, die Kunstfreiheit und die Pressefreiheit zu achten. Wir fordern ihre Achtung und ihren Schutz auch von der Türkei ein.

Wir fordern das, weil wir von der Stärke des Rechtsstaats überzeugt sind. Im Rechtsstaat sind Grundrechte wie die Meinungsfreiheit, die Kunstfreiheit und die Pressefreiheit elementar. Sie sind elementar für Pluralismus und Demokratie. Im Rechtsstaat ist die Justiz unabhängig. In ihm ist garantiert, dass die Verfahrensrechte des Betroffenen gewahrt werden. In ihm gilt die Unschuldsvermutung.

Im Rechtsstaat ist es nicht Sache der Regierung, sondern von Staatsanwaltschaften und Gerichten, das Persönlichkeitsrecht und andere Belange gegen die Presse- und Kunstfreiheit abzuwägen. In ihm bedeutet die Erteilung einer Ermächtigung zur Strafverfolgung des speziellen Delikts der Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten weder eine Vorverurteilung des Betroffenen noch eine vorgreifende Entscheidung über Grenzen der Kunst-, Presse- und Meinungsfreiheit, sondern lediglich, dass die rechtliche Prüfung der unabhängigen Justiz überantwortet wird und nicht die Regierung, sondern Staatsanwaltschaften und Gerichte das letzte Wort haben werden.

Genau in diesem und in keinem anderen Verständnis, genau in diesem und in keinem anderen Gesamtrahmen wird die Bundesregierung im vorliegenden konkreten Fall hinsichtlich des Moderators Jan Böhmermann die von mir eingangs vorgetragene Ermächtigung erteilen.

Darüber hinaus möchte ich Ihnen mitteilen, dass unabhängig von diesem konkreten Verfahren die Bundesregierung der Auffassung ist, dass Paragraf 103 StGB als Strafnorm zum Schutz der persönlichen Ehre für die Zukunft entbehrlich ist. Wir werden deshalb einen Gesetzentwurf zu seiner Aufhebung vorlegen. Der Gesetzentwurf soll noch in dieser Wahlperiode verabschiedet werden und 2018 in Kraft treten. Vielen Dank.“

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