GEDANKEN ZUR FLÜCHTLINGSFRAGE

Paul Ziemiak und seine Eltern waren selbst Flüchtlinge auf der Suche nach einem freien und friedlichen Leben. Er plädiert für pragmatische, unkonventionelle und schnelle Antworten auf die aktuellen Herausforderungen in der Flüchtlingsfrage.

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Paul Ziemiak

Gedanken zur Flüchtlingsfrage

Überfüllte Boote, ertrinkende Menschen, Panik an Grenzübergängen, tausende Kilometer zu Fuß, al­lein, in Gruppen, mit und ohne Eltern, Tote in Lastwagen – mitten in Europa. Tragödien. Wenn ich die Zeitung aufschlage, fährt es mir täglich durch Mark und Bein. Die Nachrichten sind dominiert von der menschlichen Flüchtlingskatastrophe; einer neuen Völkerwanderung ungeahnten Ausmaßes. Weltweit sind 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Sie fliehen vor Terror, Krieg, Diskriminierung, Hunger. Sie verlassen ihre Heimat, zumindest die Orte, die mal solches für sie gewesen sein müssen, und su­chen ihr Glück in der Flucht. Ihre Hoffnung auf ein besseres, ein friedlicheres Leben trägt sie bis an unsere Grenzen und darüber hinaus bis in die Turnhallen unserer Republik. 300.000 Hoffende haben bereits in diesem Jahr den Weg über das Mittelmeer gewagt, 2.500 haben es dabei nicht bis an das ret­tende Ufer geschafft. Und trotzdem reißt der Strom nicht ab; ein Ende ist nicht in Sicht. Allein vor den Toren Europas – so schätzt man – sind derzeit bis zu 20 Millionen Menschen auf der Flucht.

In diesem Jahr werden in Deutschland mindestens 800.000 Anträge auf Asyl erwartet. Viermal mehr als im letzten Jahr und so viele wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Während immer mehr Menschen vor den Kriegen im Nahen und Mittleren Osten fliehen, verlassen auch die Einwohner der Balkanstaaten aufgrund der anhaltenden Wirtschaftskrise zu Tausenden ihre Heimat. Massenarbeitslo­sigkeit, Korruption, Perspektivlosigkeit, aber auch Diskriminierung treibt sie zur Flucht.

„Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“, so heißt es in Artikel 16a, Absatz 1 unseres Grundgesetzes. Der Artikel ist Ergebnis unserer leidvollen Geschichte. Basierend auf den schrecklichen Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs übernehmen wir Verantwortung und gewähren Menschen Asyl, die in ihren Heimatländern aufgrund ihrer Hautfarbe, Religion oder ethnischen Zugehörigkeit verfolgt werden. Diesem Grundsatz, der zutiefst christlich ist, sind wir nicht nur vor dem Gesetz verpflichtet. Auch das, was man schlicht als Anstand bezeichnet, gebietet uns, die Menschen zu unterstützen. Doch es gibt sie, die traurigen Ausnahmen, die Parolen grölend durch die Straßen marschieren und ihrem blinden Hass auf Staat und Gesellschaft sowie ihre Wut und Enttäuschung über ihr eigenes Leben auf diejeni­gen projizieren, die vor dem Nichts stehen. Mit ihren Stiefeln treten sie ein ums andere Mal schmerz­haft auf unsere Werte und unsere Demokratie. „Das Boot ist voll“, lautet ihr Credo, das vor den Not­unterkünften schallt. Und der sowieso schon knapp werdende städtische Wohnraum sowie die bis über die Belastungsgrenzen hinaus gefüllten Erstaufnahmestellen samt der Hilferufe von Kommunen und Helfern nach finanzieller und personeller Unterstützung liefern ihnen die benötigten Bilder.

Doch es ist die andere Geschichte, die wir zurzeit in Deutschland schreiben, die mir Hoffnung gibt, dass wir der Herausforderung politisch und gesellschaftlich gewachsen sind: Die immens große Auf­nahme- und Hilfsbereitschaft vieler Mitbürger verteidigen wehrhaft unsere Werte. Weite Teile der Bevölkerung, Vereine, Initiativen, Netzwerke, Verbände, Unternehmen und nicht zuletzt die Kirchen helfen, unterstützen, packen mit an und zeigen sich solidarisch mit denjenigen, die zu uns kommen. Es geht ein Ruck durch unser Land, der die Willkommenskultur verspricht, die wir uns schon lange wün­schen. Und noch etwas passiert: Die konstruktive Art und Weise, wie wir die Herausforderungen ge­samtgesellschaftlich angehen, wird auch die politische Debatte in unserem Land nachhaltig verändern. Denn zwei Extreme, die sich bisher unvereinbar gegenüberstanden, werden aktuell Lügen gestraft:

Zum einen ist da die Botschaft der Rechten, die zusammenbricht, denn unser Boot ist noch nicht voll, es ist sogar verdammt leistungsstark. Zum anderen demaskiert sich eine andere Lebenslüge, nämlich die am anderen, am linken Rand. Die Grenzen bedingungslos zu öffnen sowie Schutz und Unterstüt­zung für alle Menschen, die fliehen, zu fordern, ignoriert nicht nur die unterschiedlichen Beweggründe der Fliehenden, sondern ebenso die Grenzen einer gesellschaftlichen und organisatorischen Aufnah­mefähigkeit. Und was gewichtiger ist: Weder würden Ursachen für Flucht und Vertreibung bekämpft noch Probleme in den Herkunftsländern beseitigt. Schlussendlich steht das romantische Idyll bedin­gungsloser Solidarität mit allen sogar kontraproduktiv denjenigen gegenüber, die auf unsere Hilfe an­gewiesen sind, weil sie verfolgt werden und drakonische Strafen oder sogar den Tod fürchten.

Und so brauchen wir Antworten. Pragmatische, unkonventionelle und schnelle Antworten, um kurz­fristig unsere nationale Handlungsfähigkeit aufrecht zu halten und langfristige Antworten, um den Ur­sachen für Flucht entschlossen zu begegnen.

  1. Die Länder Albanien, Montenegro und der Kosovo sind als sichere Herkunftsstaaten einzustu­fen. Dies entspricht auch dem Wunsch der jeweiligen Regierungen. Die Asylanträge von Flüchtlingen aus den sicheren Herkunftsstaaten sind prioritär zu bearbeiten, um schnellstmög­lich finanzielle und organisatorische Kapazitäten für die anderen Flüchtlinge zu schaffen. Ebenso müssen die Flüchtlinge bis zum Abschluss ihrer Asylverfahren in den Erstaufnahme­einrichtungen verbleiben. Danach müssen Rückführung bei Ablehnung sowie die Verteilung auf die Kommune bei Anerkennung der Anträge unverzüglich erfolgen.
  2. Die Integrationsversäumnisse der Vergangenheit dürfen sich nicht wiederholen. Kinder sind unverzüglich in Kindergärten und Schulen zu integrieren. Schon bei der Erstaufnahme müssen Schul- und Berufsabschluss sowie die letzte berufliche Tätigkeit statistisch erfasst werden. Im Ausland erworbene Qualifikationen sind beschleunigt zu prüfen und anzuerkennen. Die Vor­rangprüfung für den Arbeitsmarktzugang ist abzuschaffen.
  3. Bund, Länder und Kommunen müssen koordiniert bei der Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen vorgehen. Krisenstäbe sind einzurichten, um die Kommunikation zwischen Mi­nisterien und Behörden zu verbessern und durch Weisungs- sowie Zugriffsrechte beschleunig­te Entscheidungen treffen zu können. Um den Bau von Unterkünften sowie die Beschaffung von dringend benötigten Gütern zu beschleunigen, ist das Vergaberecht zu flexibilisieren. Die Bundeswehr ist um Amtshilfe bei der Ausstattung der Unterkünfte sowie bei der medizini­schen Versorgung der Flüchtlinge zu bitten.
  4. Die Europäische Union muss sich zur Solidarität mit den Flüchtlingen, aber auch zur Solidari­tät unter den Mitgliedsstaaten bekennen. Deutschland und Schweden können zusammen nicht mehr als die Hälfte aller Flüchtlinge aufnehmen. Die Lasten sind fair zu verteilen. Ebenso be­darf es einer gemeinsamen Liste der sicheren Herkunftsstaaten. Durch eine umfassende Re­form von Entwicklungspolitik sowie europäischer Agrarpolitik sind (land-) wirtschaftliche Strukturen in Afrika und auf dem Balkan zu stärken. Die Europäische Union muss sich ihrer außenpolitischen Verantwortung bewusst werden und einen größeren Beitrag – auch militäri­scher Natur – zur Stabilisierung der Unruheregionen leisten.

Paul Ziemiak (1985) wurde in Stettin in Polen geboren, in einem Land, in dem man damals nicht seine Meinung sagen durfte. Er war drei Jahre alt als seine Eltern 1988 die Koffer packten und ohne Geld nach Deutschland. Als er dann in den Kindergarten kam, konnte er kein Wort Deutsch. Er studierte später Unterneh­menskommunikation und ist seit 2014 Bundesvorsitzender der Jungen Union Deutschlands. Er lebt in Iserlohn. 

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