DEUTSCHLAND UND ISRAEL

Michael Borchard beschreibt die Entwicklung der deutsch-israelischen Beziehungen seit Kriegsende und anlässlich des 50. Jahrestages der Aufnahme diplomatischer Beziehungen die aktuellen Herausforderungen.

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Michael Borchard

Deutschland und Israel

Gedanken zum 50. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen

Es gibt kaum ein Wort, mit dem man im politischen und diplomatischen Diskurs sparsamer umgehen sollte, als mit dem Begriff des „Wunders“. Hartnäckige Rationalisten sagen gar es gibt gar keine Wun­der. Und doch gibt es keine einzige historische Entwicklung die diese Bezeichnung mehr verdient hät­te als die Qualität des Verhältnisses zwischen Deutschland und Israel seit der Aufnahme der diploma­tischen Beziehungen vor genau 50 Jahren. Die 50 Jahre stehen niemals allein. Vor 70 Jahren sind die Konzentra­tionslager befreit worden. Der Anblick, der sich den Soldaten bot, die durch die Toreinfahr­ten in diese Hölle auf Erden traten, hat das ganze Ausmaß der systematischen und grausamen Ermor­dung der euro­päischen Juden deutlich ge­macht.

Als Premierminister Levi Eschkol und Bundeskanzler Ludwig Erhard den Vertrag zum Austausch der Botschafter unterzeichnet hatten, haben sie sich wohl kaum träumen lassen, was weniger als 50 Jahre später ihre Nachfolger vertraglich besiegeln: Ein Abkommen, das ebenso symbolisch wie dramatisch verdeutlicht, welche Art von Beziehungen die beiden Länder inzwischen unterhalten. Die Rede ist vom jüngsten Konsularabkommen, in dem festgehalten ist, dass die Bundesrepublik Deutschland is­raelischen Staatsbürgern, die in Not geraten sind, in jenen Ländern konsularische Vertretung und Schutz gewährt, in denen Israel nicht über eine Repräsentanz verfügt. Wenn das kein Wunder ist: Deutschland, eben jenes Land, in dem die Shoah ihren Ausgang genommen hat als „offizielle“ und von Israel gewollte Schutz­macht für verfolgte Israelis.

Sinnbildlich zeigt dieses Abkommen, dass gerade auf der Ebene der Eliten immenses Vertrauen gewachs­en ist: Deutschland ist, wie eine Umfrage zeigt, die die Konrad-Adenauer-Stiftung zu Anfang des Jubiläumsjahres veröffentlicht hat, unter den europäischen Nationen das mit Abstand beliebteste Land in Israel. Die deutsche Bundeskanzlerin genießt geradezu astronomische Beliebtheitswerte. In wel­chem anderen Land erreicht die Frau oder der Mann an der Spitze der Regierung Sympathien um die 70 Prozent?

Also alles im Lot zwischen Israel und Deutschland? Allerspätestens mit 50 Jahren verfallen männliche Vertreter der Gattung „Homo sapiens“ gelegentlich in eine Lebenskrise, neudeutsch „Midlife-Crisis“ ge­nannt. Sie blicken wehmütig auf Ihr Leben zurück, obwohl sie eigentlich auf dem Höhepunkt ihrer Kar­riere und ihrer sozialen Anerkennung stehen und fragen sich, was das Leben noch bringen wird. Gibt es so eine „Midlife-Crisis“ auch in den deutsch-israelischen Beziehungen? Wie sieht es jenseits der Feier­tagsreden, jenseits der steifen Rituale wirklich um diese so essentielle Verbindung der beiden Völker die alles sein kann, aber niemals „normal“ sein wird, wie es der große Amos Oz bestätigt hat. Was bereitet an diesem Feiertag, am 12. Mai 2015 Sorgen?

Eine besonders drückende Herausforderung ist es, die Oberflächlichkeit zu bekämpfen. Wunderbar wird das in einem der typisch tiefsinnigen israelischen Witze deutlich: Ein Deutscher sitzt in einem Straßen­café in Tel Aviv und hämmert einen Text in seinen Laptop. Ein anderer Deutscher sieht ihn und freut sich: „Du bist in Israel, wie schön! Wann bist Du gekommen? Gestern! Und wann fährst Du wieder? Morgen! Ja, und was machst Du da? Ich schreibe ein Buch! Ach interessant. Wie wird das Buch denn heißen: „Israel – gestern, heute und morgen“. Diesem Typus des „Nahostverstehers“, der sehr schnell be­reit ist, sich ein abschließendes Bild von einer der komplexesten Regionen dieser Welt zu machen, be­gegnet man nicht selten in Deutschland.

Auch wenn man sich tunlich vor dem Ritual der Medienbeschimpfung hüten sollte: Die Journalisten, die, wie es eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung einmal ermittelt hat, zu mehr als 70 Prozent ihre politi­sche Sozialisierung im linken Spektrum – mitsamt aller Sympathien für die palästinensischen Anliegen – erfahren haben, zeichnen nicht selten ein unausgewogenes Bild Israels.

Das führt zur zweiten Sorge: Die gegenwärtigen „Flitterwochen“ scheinen eine ziemlich einseitige Ange­legenheit zu sein, wie eine Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt. Der Blick aus Deutschland nach Israel ist ungleich kritischer als die umgekehrte Perspektive, nur 36 Prozent haben eine gute Mei­nung von Is­rael. Die eigene Studie der Adenauer-Stiftung zeigt, dass dahinter auch ein kulturelles Muster steht: Je jünger und je religiöser Israelis sind, desto skeptischer ist der Blick auf Deutschland. Viele demoskopi­schen Befunde sprechen dafür, dass die junge Generation in Israel auch vor dem Hin­tergrund eines sub­jektiv gestiegenen Bedrohungsempfinden immer religiöser, immer patriotischer, im­mer militaristischer wird. Die deutsche Jugend dagegen ist in großen Teilen postreligiös, postmilitaris­tisch und postnational.

Während das tradierte Lebensmotto in Deutschland lautet: „Nie wieder Krieg!“, lässt sich die israeli­sche Haltung in „Nie wieder Opfer!“ zusammenfassen. Letztlich fahren hier zwei Züge in eine unterschiedlic­he Richtung. Es mag banal klingen, aber es stimmt, was der große Martin Buber gesagt hat, dessen 50. Todestag wir gleichfalls in diesem Jahr gedenken: „Alles wirkliche Leben ist Begegnung“. Der Erfolg dieses Jubiläumsjahres wird sich daran messen lassen müssen, inwiefern es uns gelingt, Begegnungen zwischen den Zivilgesellschaften noch einmal auf eine wesentlich ambitioniertere Stufe zu stellen. Shi­mon Stein hat ein Defizit an Empathie beklagt, den mangelnden Willen, wirklich hinter den alles domi­nierenden Nahostkonflikt zu schauen und zu erkennen, was für ein aufregendes, faszi­nierendes und im wahrsten Sinne des Wortes „junges“ Land hinter diesem Schleier zum Vorschein kommt.

Die dritte Sorge ist der zunehmende Zeitdruck: So sehr kein Zweifel daran bestehen darf, dass die Zwei­staatenlösung der einzige Weg ist, der die Existenz Israels als jüdischen und demokratischen Staat dau­erhaft sichern kann, so sehr ist unsicher, ob das Fenster zu dieser Lösung ewig geöffnet blei­ben wird. Re­gelmäßige Umfragen der Adenauer-Stiftung und des renommierten Truman-Institutes der Hebrew-Uni­versity zeigen, dass die Zustimmung zu dieser Lösung seit Jahren abnimmt und im De­zember erstmals auf 50 Prozent gefallen ist. Was das mit Deutschland zu tun hat? Unsere Umfrage über die Einstellung der Israelis und der Palästinenser gegenüber Deutschland zeigt, dass beide Seiten eine aktivere, vermit­telnde Rolle im Nahostkonflikt von den Deutschen erwarten. Beinahe 60 Prozent sehen Deutschland als „ehrlichen Makler“ im Konflikt. Das mag ein unbeliebtes „Danaergeschenk“ sein, eine „gordische“ Auf­gabe mit mehr als ungewissem Ausgang. Nur können wir, wenn es uns mit dem in Israel so positiv auf­genommenen Satz Merkels von der Sicherheit Israels als Teil der deutschen Staatsräson ernst ist, abwar­ten und Tee trinken – auch wenn es noch so schwierig ist, Israel mit klaren Worten von den existentiellen Vorteilen dieser Lösung zu überzeugen?

Die vierte Sorge ist deshalb, dass der Pessimismus obsiegt: Um noch mal auf die Wunder zu rekurrie­ren: Übervater und Adenauer-Freund David Ben Gurion hat es zum Ausdruck gebracht: „Wer nicht an Wun­der glaubt, der ist kein Realist“ : Dass es in Israel und Deutschland an Realisten und an Wundern in den ersten 50 Jahren nicht gemangelt hat, muss jedenfalls kein schlechtes Zeichen für die nächsten 50 Jahre sein – Mazel tov!

Michael Borchard (1967) leitet das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Jerusalem. Zuvor war Herr in der Stiftung Leiter der Hauptabteilung Politik und Beratung sowie Redenschreiber für Helmut Kohl und Bernhard Vogel.

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