OSTERWORT 2014

Klaus Wengst nutzt eine rabbinische Auslegung von Ezechiel 37, um dem Geheimnis der Auferstehung auf die Spur zu kommen.

Den folgenden Text können Sie hier ausdrucken.

Klaus Wengst

Ostern 

Zu den gewissesten Erfahrungen gehört es, dass jedes Leben mit dem Tod endet. Die Rede von der Auferstehung bestreitet selbst dem Tod die Totalität. Sie widerspricht allgemein menschlicher Erfahrung. Man kann Toten noch so gut zureden, sie noch so laut anrufen, sie werden nicht wach und stehen nicht auf. Dementsprechend schreibt die schon lange vor der Zeit Jesu im Judentum aufgekommene Hoffnung auf Auferstehung diese auch Gott zu, dem Schöpfer, der aus dem Tod heraus neue Schöpfung schafft. Sie ist nicht dem Wunsch ent­sprungen, dass das Leben, weil es so schön sei, endlos weitergehen möge. Sie ging aus der Er­fahrung bedrängender Gewalt hervor, die gerade solche traf, die Gott bis zum Risiko des Le­bens treu blieben und denen Gott seinerseits nur treu bleiben kann, dass er sie auferwecken wird. Auferstehung der Toten ist so der Aufstand der Getöteten gegen die gewalttätigen Sieger der Geschichte, die über Leichen gegangen sind. In dieser Linie wird im Neuen Testament da­von geredet, dass Gott den an einem römischen Kreuz hingerichteten Jesus schon auferweckt hat. Das ist die Grundaussage des Neuen Testaments.

Ein Leben, dem der Tod nicht noch einmal bevorsteht, sondern das ihn ein für allemal hinter sich hat, kennen wir aus unserer Erfahrung nicht. Deshalb entzieht sich die Aussage von der Auferweckung Jesu objektiver Nachprüfbarkeit und macht sich angreifbar. Aufklärer verlan­gen eine Beweisführung, wie sie in historischer Wissenschaft für historische Fakten erwartet wird. Schon Reimarus (1694–1768) zeigte auf, dass sich in einem unauflöslichen Wust von Widersprüchen verheddert, wer die Ostergeschichten am Schluss der Evangelien historisch liest. Bei ihnen handelt es sich um legendarische Erzählungen. Aber sie sind nicht fantasy. Sie beziehen sich auf einen bestimmten Menschen mit einer bestimmten Geschichte. Wenn von ihm für die Zeit nach seinem Tod etwas gesagt wird, was sich historischer Verifizierbarkeit entzieht, wird eine andere Dimension von Wirklichkeit eingezogen. Hier wird auf die Wirk­lichkeit des biblisch bezeugten Gottes gesetzt. Aber wie kann davon geredet werden?

Dafür ist mir eine rabbinische Auslegung von Ezechiel 37 hilfreich geworden, der großartigen Vision von der Unzahl vertrockneter Knochen, die durch Gottes Geist wieder lebendig werden und sich „auf die Füße stellen“ – ein Hoffnungsbild für die nach Babylon Exilierten auf Rück­kehr ins Land Israel. Das wird so ausgelegt: „Rabbi Elieser sagte: ‚Die Toten, die Ezechiel le­bendig gemacht hat, stellten sich auf ihre Füße, sangen ein Lied und starben. Und was für ein Lied sangen sie? Der Ewige tötet in Gerechtigkeit und macht lebendig in Erbarmen.‘ Rab­bi Jehoschua sagte: ‚Dieses Lied sangen sie: Der Ewige tötet und macht lebendig, führt hinab in die Unterwelt und führt herauf‘ (1. Samuel 2,6). Rabbi Jehuda sagte: ‚Ein wirkliches Gleichnis war es.‘ Da sagte zu ihm Rabbi Nechemja: ‚Wenn wirklich, wieso ein Gleichnis? Und wenn ein Gleichnis, wieso wirklich? In Wirklichkeit war es nur ein Gleichnis.‘ Rabbi Elieser, der Sohn des Rabbi Josse des Galiläers, sagte: ‚Die Toten, die Ezechiel lebendig ge­macht hat, zogen hinauf in das Land Israel, nahmen Frauen und zeugten Söhne und Töchter.‘ Da stellte sich Rabbi Jehuda ben Bathyra auf seine Füße und sagte: ‚Ich bin von den Kindern ihrer Kinder; und das sind die Gebetsriemen, die mir mein Großvater von ihnen hinterlassen hat‘.“

Ich gehe hier nur auf die Aussage des Rabbi Jehuda ein: „Ein wirkliches Gleichnis war es.“ Der hebräische Text besteht aus nur drei Worten: emet maschal haja. Man könnte auch über­setzen: „Eine wahre Geschichte war es“. Gleichnis, Vergleich, Erzählung, Dichtung, Sprich­wort, Spruch sind mögliche Bedeutungen des Wortes maschal. Mit ihm wird hier emet zusam­mengestellt: Wirklichkeit, Wahrheit, Beständigkeit, Verlässlichkeit, Treue. Was in Ezechiel 37 steht, ist nicht „nur“ Gleichnis oder Erzählung, sondern ein Gleichnis, das in ungeheurer Wei­se wirklichkeitshaltig ist, eine Geschichte voll von Wahrheit, die die Treue und Verlässlichkeit Gottes zuspricht, seine Wahrheit, die sich bewährt und auf die man sich verlassen kann.

Nach dieser Tradition wurde die Treue Gottes darin erfahren, dass die Exilierten tatsächlich ins Land Israel hinaufstiegen. Deshalb sind die Stimmen der beiden letzten Rabbinen ange­fügt. Wie Gott nach dem Zitat aus 1. Samuel 2,6 aus der Unterwelt heraufführt, so steigen sie ins Land hinauf – im Hebräischen ist es dasselbe Verb. Und Rabbi Jehuda ben Bathyra als von ihnen Abstammender stellt sich auf die Füße – ein Zeichen von Leben –, wie die von Ezechiel lebendig Gemachten sich auf die Füße stellten. So wird nicht nur die Erzählung von Ezechiel 37, sondern auch die eigene Existenz zum über sich selbst hinaus weisenden Gleichnis für die Auferstehung der Toten, in der Gottes Beständigkeit und Treue zum Ziel kommt.

Als „wirkliche Gleichnisse“, als „wahre Geschichten“ verstehe ich die sehr unterschiedlichen Ostererzählungen der Evangelien. Widersprüche auf der historischen Ebene tun nichts zur Sa­che. Mit dieser Ebene gehen die Evangelisten in der je eigenen Darstellung äußerst frei und unbefangen um. Ihre „Sache“ ist eine andere. Ihre „Sache“ ist Gottes lebendige Gegenwart im Wort, das Jesus als Auferweckten bezeugt. In den Erzählungen von den beiden Schülern auf dem Weg nach Emmaus (Lukas 24,13–35) und von Mirjam aus Magdala am Grab Jesu (Jo­hannes 20,11–18) wird Jesus von den ihm Begegnenden zunächst nicht erkannt. Den Lesen­den wird damit bedeutet, dass die Gegenwart des Auferweckten anders ist als die Gegenwart Jesu vorher. Jesus entzieht sich beide Male in dem Augenblick, da er endlich erkannt wird. Nicht Jesus, der war und wie er war, ist zu suchen, nicht das Bild eines Toten ist festzuhalten, sondern in der Erinnerung an den Irdischen ist die Lebendigkeit des von Gott Auferweckten zu gewärtigen. Gott, der Israel aus Ägypten befreit, der Jesus von den Toten auferweckt hat, bestreitet tödlicher Gewalt, letzte Fakten gesetzt zu haben, gibt Hoffnung gegen den Tod. Gott ist im Wort – und verspricht es zu halten.

Klaus Wengst (1942) war bis 2007 Professor für Neues Testament und Judentumskunde an der Evang.-Theol. Fakultät der Ruhr-Universität Bochum. Er ist einer Bibelauslegung verpflich­tet, die sich sozialgeschichtlich orientiert und im Gespräch mit dem Judentum in Ge­schichte und Gegenwart erfolgt.

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