ORGANISIERTE SUIZIDHILFE VERBIETEN

Norbert Arnold plädiert für Sterbebegleitung als Alternative zur Sterbehilfe und sieht der Akzeptanz von organisierter Suizidhilfe eine große Gefahr für den Schutz des Lebens.

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Norbert Arnold

Argumente für ein Verbot der organisierten Suizidbeihilfe

Jeder Mensch hat das Recht, selbstbestimmt und eigenverantwortlich sein Leben zu gestalten – dies gilt auch für die letzte Lebensphase. Die Vorstellungen und Wünsche hinsichtlich des eigenen Sterbens müssen respektiert werden – wer sollte über das Sterben eines Menschen entscheiden, wenn nicht der Mensch selbst? Diese persönliche Freiheit gilt grundsätzlich auch für den Wunsch, vorzei­tig aus dem Leben zu scheiden.

Allerdings verbirgt sich in vielen Fällen hinter diesem Wunsch in Wirklichkeit ein Ruf nach Hilfe, eine als unerträglich empfundene Lebens-Situation (und nicht das Leben selbst) zu be­enden. Etwa durch medizinische Kontrolle von Krankheits­symptomen, insbesondere Schmerzlinderung, durch psychologische und seelsor­gerische Hilfe sowie durch sozialen Bei­stand kann vielen Menschen geholfen wer­den. Mit der Linderung des Leidens verschwindet meistens auch der Wunsch, vorzeitig aus dem Leben zu scheiden. Daher muss der geäußerte Sterbewunsch hinterfragt werden – allerdings ohne den Eindruck entstehen zu lassen, man „wisse es besser“ als die betroffene Person. Effektive Hilfe muss angeboten wer­den. Und be­sonders wichtig: Die „Schwellen“ für eine Beihilfe zum Suizid müssen so hoch gelegt wer­den, dass genügend Raum geschaffen wird, um Alternativen auszuloten, Hilfe anzubieten und Situationen und Entscheidungen zu reflektieren.

Eine Beihilfe zum Suizid, wie sie etwa von „Sterbehilfeorganisationen“ angeboten wird, birgt die Gefahr in sich, die Hemmschwellen abzusenken. Allzu leicht er­scheint der Suizid als der „einfachere“ Weg, existenzielle Krisensituationen, hin­ter sich zu bringen. Der soziale Druck auf Schwerstkranke und Sterbende wird stärker, wenn die organisierte Suizidbeihilfe salonfä­hig wird. Daher sollte jede Form der „organisierten“ Beihilfe zur Selbsttötung in Deutschland verboten wer­den. Darüber hinaus ist jedoch der rechtliche Status-quo beizubehalten, d. h. Bei­hilfe zum Suizid sollte nicht generell unter Strafe gestellt werden. Jede „Über­regulierung“ muss im Interesse der betroffenen Menschen vermieden werden.

Die Befürworter von Sterbehilfeorganisationen lehnen ein Verbot mit dem Hin­weis auf das Selbstbestimmungsrecht ab. In Wirklichkeit ist ein Verbot der orga­nisierten Beihilfe zum Sui­zid mit dem Selbstbestimmungsrecht vereinbar, weil es nur eine bestimmte Form der Suizid­beihilfe unter Strafe stellt, alle ande­ren Handlungsoptionen, die letzte Lebensphase selbstbe­stimmt zu gestalten, je­doch zulässt.

Sterbehilfeorganisationen haben zwar hohe Mitgliederzahlen, aber nur relativ wenige Mit­glieder nehmen die Dienste ihres Vereins tatsächlich in Anspruch. Of­fensichtlich ist die Mit­gliedschaft nur eine Art letzte „Rückversicherung“; sie reicht zur Beruhigung aus. Die Sterbe­hilfeorganisationen würden ihre Attraktivi­tät verlieren, wenn über die Möglichkeiten der Ster­bebegleitung als Alternativen zur Sterbehilfe besser informiert würde. Viele Menschen wissen zu wenig über die Möglichkeiten der Palliativmedizin und die Hilfsangebote der Hospize.

Auch die Ergebnisse der Umfragen mit ihren anhaltend hohen Zustimmungswer­ten zur akti­ven Sterbehilfe und zum assistierten Suizid deuten auf erhebliche De­fizite hin. Es fällt auf, dass selbst die Grundbegriffe – assistierter Suizid, aktive, passive und indirekte Sterbehilfe, Tötung auf Verlangen usw. – nicht korrekt ver­wendet und häufig in unzulässiger Weise ver­mischt werden. Was medizi­nisch-pflegerisch machbar, ethisch begründbar und rechtlich zu­lässig ist, ist offensicht­lich nicht hinreichend bekannt. Fragen nach dem Wünschenswerten er­halten meistens nur eine oberflächliche Antwort. Die Frage nach dem „guten Leben“ und erst recht nach dem „guten Sterben“ scheint in vielen Fällen erst gar nicht mehr gestellt zu wer­den. Der vorschnelle Ruf nach „Sterbehilfe“ übertüncht eine inten­sivere Auseinandersetzung mit dem eigenen Sterben und Tod. Auch viele Ärzte, Pfleger und Seelsorger reagieren unsi­cher und hilflos.

Palliativmedizin und Hospize wurden in den letzten Jahren ausgebaut. In Deutschland gibt es rund 1.500 ambulante Palliativ- und Hospizdienste, 180 sta­tionäre Hospize und 230 Pallia­tivstationen. Jedes Jahr werden ca. 110.000 Men­schen palliativmedizinisch und hospizlich versorgt. Der Bedarf übersteigt jedoch das Angebot bei weitem: Mehrere hunderttausend Menschen, die eigentlich Hilfe benötigten, bleiben unversorgt. Ein weiterer Ausbau ist drin­gend notwendig. Dazu gehört vor allem, die Kapazitäten in stationären Palliativ- und Hos­pizeinrichtungen zu erhöhen, und dabei nicht nur die urbanen Ballungszentren, son­dern auch die ländlichen Räume ausreichend zu berücksichtigen. Im Hinblick auf den Wunsch vieler schwerkranker und sterbender Menschen, ihre letzte Lebens­zeit in vertrauter Umgebung zu Hause zu verbringen, sollten außerdem ambulan­te Palliativ- und Hospizdienste gestärkt wer­den. Auch eine bessere Einbindung von Hausärzten, Sozialstationen und nicht zuletzt von Pflegeeinrichtungen ist notwendig. Schließlich muss auch die Seelsorge durch die Kirchen wieder deutli­cher spürbar werden.

Nur wenn die Menschen erfahren können, welchen Nutzen eine humane Sterbe­begleitung bringt, wird die Schere geschlossen werden können zwischen dem ho­hen Anspruch des Le­bensschutzes einerseits und der konkreten, von der Angst vor Leiden, Sterben und Tod ge­prägten Lebensrealität andererseits. Ein Verbot der organisierten Beihilfe zum Suizid ist not­wendig, genauso wichtig ist jedoch, die guten Möglichkeiten einer umfassenden humanen Sterbebegleitung besser als bisher erfahrbar werden zu lassen.

Dr. Norbert Arnold (1958) studierte Biologie und Philosophie, war als Moleku­larbiologe in Gießen und Zürich tätig und leitet derzeit das Team Gesellschafts­politik, HA Politik und Be­ratung, der Konrad-Adenauer-Stiftung. Seine Arbeits­schwerpunkte sind Bioethik und For­schungspolitik.

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