AFGHANISTAN UND CHRISTLICHE VERANTWORTUNG

Christian Schmidt MdB wendet sich gegen die Ausgrenzung deutscher Soldaten, die mit ihrem Einsatz in Afganistan ein hohes persönliches Risiko tragen.

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Christian Schmidt

Afghanistan und unsere christliche Verantwortung

Drei Tage nachdem die afghanische Ärztin Sima Samar mit dem Alternativen Nobelpreis geehrt wurde, richtete sie sich am 10. Dezember 2012 an die deutsche Öffentlichkeit. Kurz vor ihrem Tref­fen mit Ver­teidigungsminister Dr. Thomas de Maizière bat sie darum, Afghanistan nicht alleine zu lassen. Der Aufruf der engagierten Menschenrechtsaktivistin verdeutlicht: Verantwortung ist nicht abstrakt. Sie ist konkret; und sie muss sich im realen Leben bewähren. Das gilt auch und besonders für Chris­ten, ha­ben wir doch nicht nur eine Verantwortung gegenüber Gott, sondern auch gegenüber der uns anvertrau­ten Welt. „’Christlich‘ sein zu wollen ohne ‚weltlich‘ zu sein“, kam für Dietrich Bonhoeffer einer „Ver­leugnung der Offenbarung Gottes“ gleich.

Wir stehen zu unserer Verantwortung

Christen verschließen nicht die Augen vor der Welt. Wir nehmen unsere Verantwortung in der Welt wahr. Auch nach 2014 werden Deutschland und die internationale Gemeinschaft den Menschen in Af­ghanistan zur Seite stehen. Seit Beginn des internationalen Einsatzes sind dort erhebliche Entwickl­ungserfolge erzielt worden. Der flächendeckende Ausbau der Bildungschancen für Jungen und Mäd­chen, für Männer und Frauen ist eine bedeutende Investition in die Zukunft Afghanistans. Der Aufbau einer grundlegenden Infrastruktur für Energie, Transport, Trinkwasser und Bewässerung er­öffnet lang­fristige Einkommens- und Beschäftigungsperspektiven. Erstmals gibt es eine medizini­sche Grundver­sorgung für einen großen Teil der Bevölkerung.

Weil Afghanistan aber weiter zu den ärmsten und korruptesten Ländern der Welt zählt, wird die internat­ionale Gemeinschaft auch nach 2014, wenn der Einsatz der internationalen Schutztruppe ISAF endet, weiter helfen und sich einmischen. Dies ist die zentrale Botschaft der Konferenzen von Bonn, Chicago und Tokio sowie zahlreicher bilateraler Abkommen.

Die Friedensbewegung hat Afghanistan verlassen

Der Appell Sima Samars gründet sich auf der Sorge, dass Afghanistan absehbar den Fokus der öffentlic­hen Wahrnehmung verlieren könnte. In der Tat: Bereits heute scheint es, dass nicht die Solda­tinnen und Soldaten der Bundeswehr und die internationale Gemeinschaft, sondern die Friedensbeweg­ung weitergezogen ist – sie hat Afghanistan den Rücken gekehrt. Syrien und Iran sind schon jetzt Schlagworte mit mehr Gewicht. Es macht keinen Sinn, lautstark den Abzug der Bundeswehr aus Af­ghanistan zu fordern, wenn dieser bereits beschlossen ist.

Christliche Verantwortung zu leben bedeutet, für die Menschen in Afghanistan einzustehen, auch wenn kein mediales Echo zu erwarten ist. Gleichzeitig bedeutet christliche Verantwortung auch, Realität zu erkennen, sich jedoch nicht mit ihr abzufinden. Wir Christen begnügen uns nicht mit der Tatsache, dass Gewalt Teil unserer Welt ist. Die christliche Botschaft ruft uns auf, uns für eine Welt ohne Gewalt ein­zusetzen. Das Dilemma, Gewalt einsetzen zu müssen, um Gewalt zu vermeiden, ist eine Herausforde­rung auch für uns Christen.

„Reden statt helfen und damit zusehen statt handeln“, wie jüngst lesbar, ist für mich keine Option. Da­bei kann es sogar sein, dass wir eine muslimisch geprägte Gesellschaft fördern. Schwierigkeiten sehe ich dann, wenn das Mindestmaß an religiöser Toleranz, die ungehinderte Ausübung auch ande­rer Glau­bensrichtungen, vor allem des Christentums, nicht möglich wäre. Auch in Afghanistan muss dies beob­achtet werden. Bislang kann aber keine flächendeckende, systematische Unterdrückung von Christen festgestellt werden.

Auftrag erfüllt ?

Ich erwarte von Christen in Deutschland, dass sie der Gefahr einer Ausgrenzung derjenigen aktiv be­gegnen, die das persönliche Risiko der Sicherheitsverantwortung tragen. Ein Satz, nachdem „nichts gut“ sei in Afghanistan, verkennt bewusst oder fahrlässig die positiven Entwicklungen der letzten Jahre und reduziert die Komplexität der Probleme auf eine grobschlächtige Grenzlinie.

Auch die These, dass Streitkräfte die Entwicklung negativ beeinflussen würden und „ziviler“ Aufbau viel wichtiger wäre, lässt außer Acht, dass es vor 2001 keine nennenswerte Arbeit von Hilfsorganisationen in Afghanistan gab. Selbst entschlossene Hilfsorganisationen wie „Ärzte ohne Grenzen“ verließen 2001 das Land, mussten rund 70 internationale Mitarbeiter 2001 aus von Taliban kontrollierten Gebieten in Afghanistan evakuieren, um erst wenige Monate später mit der internationalen Schutztruppe als Sicherheitsgarant dorthin zurückzukehren.

Für die Bundeswehrangehörigen wie auch für die anderen Helfer, die in Afghanistan im Einsatz wa­ren, geht es 2014 nicht um eine Bilanz in den abstrakten und absoluten Kategorien von Erfolg oder Schei­tern. Es geht ihnen vielmehr um die Frage, ob sie dazu beitragen konnten, das Leben der Men­schen in Afghanistan zu verbessern. Dazu gehört auch die Bereitschaft von allen Seiten, Sicher­heits- und Ent­wicklungspolitik gemeinsam zu sehen. Dabei gilt es Aufgaben abzugrenzen, deren Er­füllung aber zu harmonisieren.

Gerade als Christen setzten sich viele Soldatinnen und Soldaten Soldaten in ihren Einsätzen mit der Frage von Schuld und Sünde auseinander. Afghanistan konfrontierte sie mit einer Realität, in der Ver­antwortung reinen Pazifismus nicht zulässt. Für unsere Soldatinnen und Soldaten gab es nicht das Was­ser, in dem einst Pilatus seine Hände in Unschuld wusch. Das Töten von Menschen ist in je­dem Fall ein Übel. Und jede Anwendung von Gewalt macht, um mit Luther zu sprechen, schuldig.

Die Zukunft Afghanistans liegt zuallererst in afghanischer Hand – schon heute. Wenn jedoch Soldatinn­en und Soldaten der Bundeswehr schrittweise Verantwortung für Sicherheit und Stabilität an afghanis­che Partner zurück übergeben, beweisen sie damit, dass sie selbst Verantwortung für die Zu­kunft des afghanischen Volkes getragen haben. Sie haben dem afghanischen Volk geholfen, an seine eigene Zu­kunft zu glauben. Auch Frau Samar blickt optimistisch nach vorne. Sie glaubt nicht an eine Wiederkehr der Taliban-Herrschaft. Insbesondere jüngere Afghanen seien nicht bereit, ihre neuen Freiheiten aufzu­geben. Diese Entwicklung ist auch ein Verdienst der deutschen Soldatinnen und Soldaten.

Christliche Verantwortung für unsere Soldatinnen und Soldaten

Eine Bilanz des Afghanistan-Einsatzes lautet, dass Themen wie Tod, Verwundung und Tapferkeit unse­re Wahrnehmung der Bundeswehr und der Soldatinnen und Soldaten unumkehrbar verändert hat. Gera­de im Sinne einer christlichen Verantwortung sind wir alle aufgefordert, unsere Soldatin­nen und Solda­ten spürbar werden zu lassen, dass wir alle, die Menschen in unserem Land, die Be­sonderheiten ihres Dienstes mit seinen Gefährdungen anerkennen und den bedeutenden Beitrag würdigen, den Soldatin­nen und Soldaten in Auslandseinsätzen für die Bewahrung von Frieden und Stabilität auf der Welt und damit für die Sicherheit Deutschlands und seiner Bürgerinnen und Bür­ger leisten.

Leider vermisse ich weitgehend in unserer Gesellschaft die Bereitschaft zu einer Auseinanderset­zung mit Gefahren und Folgen eines bewaffneten Konflikts, eines Krieges, einer Staatsentwicklung danach für unsere Aktiven und die Daheimgebliebenen. Wir sollten den Mut entwickeln, uns sol­chen unange­nehmen Themen zu öffnen!

Christian Schmidt (1957) ist seit 1990 Mitglied des Deutschen Bundestages und seit 2005 Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung. Er ist u.a. stv. Bundesvorsitzender des Evang. Arbeitskreises (EAK) der CDU/CSU sowie EAK-Landesvorsitzender der CSU und stellvertr. Mitglied der Landessynode der ev.-luth. Kirche in Bayern.

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