ZUM RÜCKTRITT VON PAPST BENEDIKT

P. Klaus Mertes SJ sieht im Rücktritt von Benedikt XVI. einen mutigen Schritt, mit der Papst sowohl dem Amt und als auch der gesamten Kirche einen Dienst erwiesen hat.

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P. Klaus Mertes SJ

Zum Rücktritt von Papst Benedikt 

Die Rücktrittsankündigung von Papst Benedikt XVI. war ein mutiger Schritt. Es ist allein schon mu­tig, mit einer mehr als 700-jährigen Tradition zu brechen, die es undenkbar erscheinen ließ, dass ein Papst zurücktritt. Noch bemerkenswerter ist, dass Benedikt XVI. mit diesem Schritt eine andere Weise des Umgangs mit dem eigenen Alter wählte als Johannes Paul II.. Und schließlich wird der Papst wohl selbst geahnt haben, dass er auch Fragen und Prozesse auslöst, die er vielleicht gar nicht intendiert hat, die aber mit dem Rücktritt ebenfalls irreversibel auf der Tagesordnung stehen. Mut zeigt sich daran, dass man auch dann Entscheidungen trifft, wenn die Konsequenzen dieser Ent­scheidung nicht oder noch nicht voll überschaubar sind. Es gibt eben Situationen, in denen man ent­scheiden muss, obwohl man nicht weiß, welche Folgen durch die Entscheidung „kollateral“ mit ausgelöst werden. Das sind die Si­tuationen, in denen Gottvertrauen herausgefordert ist. Papst Bene­dikt hat durch seine Entscheidung die Kirche als Ganze herausgefordert, ihm in diesem Vertrauen zu folgen. Kontrolle ist gut, aber Vertrauen ist besser – zumal in der gegenwärtigen kirchlichen Si­tuation.

Zu den Folgen des Rücktritts gehört, dass er inner- und außerkirchlich Fragen über das Papstamt auf­wirft – eine gute Gelegenheit, über den Sinn des Papstamtes zu nachzudenken und einige Dinge richtig zu stellen. Gibt der Papst den Anspruch auf „Unfehlbarkeit“ auf, wenn er sich in seiner Ankündigungsr­ede für „Fehler“ entschuldigt, die er gemacht hat? Natürlich nicht. Vielmehr bezieht sich das missver­ständliche Wort von der „Unfehlbarkeit“ nach katholischem Verständnis nur auf einen bestimmten Be­reich von Aussagen, in denen die kirchliche Glaubens- und Sittenlehre ver­bindlich verkündet wird. Ist der Papst noch „Heiliger Vater“, wenn er hinter einem Nachfolger in den Hintergrund tritt? Verwandelt sich das Papstamt gar in das normale Amt eines Behörden- oder Regierungschefs und verliert so seine religiöse Aura? Natürlich auch nicht. Die theologische Digni­tät des kirchlichen Amtes, auch des Papst­amtes, liegt in der Bischofsweihe begründet. Diese wird durch einen Rücktritt nicht aufgehoben. Und über den Titel „Heiliger Vater“ lässt sich auch innerka­tholisch weiterhin trefflich streiten. Er bedeutet je­denfalls nicht, dass der Papst so etwas wie ein ka­tholischer Dalai Lama ist. Es gibt letztlich nur einen „Heiligen Vater“ – den im Himmel (vgl. Joh 17,11), weswegen man zur Vermeidung weiterer Missver­ständnisse denselben Titel für den Papst auch zurücknehmen könnte. Das Christentum ist jedenfalls kei­ne Papstreligion.

Sicherlich besteht die Stärke des Papstamtes darin, dass es die ganze katholische Christenheit sicht­bar repräsentieren kann. Aber genau das ist in den letzten Jahrzehnten unter den Bedingungen der Globali­sierung auch zu einer Falle geworden, zu einer Quelle vieler Missverständnisse. Alle Welt blickt, wenn sie auf die katholische Kirche blickt, auf die Person des Papstes. Doch der Papst ist nicht die katholische Kirche. Wenn Benedikt XVI. nun zurückritt, tritt er damit auch als Person hin­ter das Amt zurück. Das ist zunächst eine Botschaft an den ganzen Globus. Benedikt XVI. verbeugt sich vor dem Amt in gut katholi­scher Tradition, die immer einen Sinn dafür hatte, dass die Person im Dienste des Amtes steht, nicht um­gekehrt.

So lässt sich dann auch wieder mit größerer Nüchternheit über das Amt selbst sprechen. Das Amt in der Kirche hat gerade die Funktion, der Kirche zu dienen, in die Gemeinschaft der Kirche hinein zu hören, das Wirken des Geistes in ihr wahrzunehmen und ihm gesamtkirchliche Bedeutung zu geben. Das beste Beispiel dafür ist das Zusammenwirken von Petrus und Paulus in der Urkirche. Es war Paulus, den der Auferstandene zu den nichtjüdischen Völkern sandte. Die Aufgabe von Petrus und der anderen Amtsträ­ger („Säulen“ vgl. Gal 2,9) bestand darin, die Sendung des Paulus zu sehen und anzuerkennen. Ohne diese Anerkennung durch Petrus wäre einerseits Paulus „vergeblich gelaufen“ (Gal 2,2). Andererseits wäre die Kirche ohne die Anerkennung der Sendung des Paulus eine kleine innerjüdische Sekte geblie­ben, die bald im Traditionalismus erstarrt wäre. Das Wirken des Geistes und das Amt – beides zusam­men machen lebendige Kirche erst aus.

Bleiben wir noch einen Augenblick bei Petrus und Paulus. Ausgerechnet Petrus „der Fels“ (Mt 16,18) wird in den Schriften des Neuen Testamentes als schwankende Persönlichkeit beschrieben, sowohl vor­österlich (die Verleugnung des Gekreuzigten) wie auch nachösterlich (der Vorfall in An­tiochia, vgl. Gal 2,12). Ganz anders tritt der Charismatiker Paulus auf, der beansprucht, sein Apo­stelamt nicht durch die „Institution“, sondern direkt von Gott erhalten zu haben (vgl. Gal 1,1): eine unerschütterlich stark wir­kende Persönlichkeit, die auch noch die eigenen Schwächen als Stärke zu deuten vermag (2 Kor 12,10). In dieser Paarung von Petrus und Paulus sind weitere ermutigende Botschaften enthalten: Die Kirche ist offen für Prozesse und Konflikte zwischen Charismatikern und Amtsträgern. Der Geist Gottes weht nicht nur von oben nach unten, sondern auch von unten nach oben. Der Amtsträger muss kein Charisma­tiker sein, sondern es reicht, wenn er einen nüchter­nen Sinn für den Dienstcharakter seines Amtes hat. Das bedeutet nicht, dass er dem Amt nicht auch seinen persönlichen Stempel aufdrücken darf. Das wird er ohnehin immer tun, so wie Benedikt XVI. und Johannes Paul II. es auf Grund ihrer unterschiedlichen persönlichen Eigenschaften und Vorlie­ben jeweils unterschiedlich getan haben. Aber noch entscheiden­der als die jeweilige Person im Amt ist das Amtsverständnis der Person, welche das Amt innehat. Amts­träger, die eitle Pfauen oder machthungrige Karrieristen sind, können das Amt schwer beschädigen. Dazu hat Benedikt nun ein unüberhörbares Zeichen gesetzt. Es geht nicht um Macht, sondern um Dienst, und das beginnt mit dem eigenen praktischen Verhältnis zum Amt. Nur wer das Amt auch wie­der loslassen kann, sollte es auch erhalten.

Der Rücktritt des Papstes ist nicht nur eine Geste des Machtverzichts. Er ist auch ein Machtgestus. Der Papst stellt die Kurie mit seinem Rücktritt vor eine Machtfrage. Das zeigen schon jetzt insbe­sondere die um „Vatileaks“ kreisenden Konflikte zwischen den Kardinälen, die im Vorfeld des Kon­klaves aufbre­chen. Wenn es stimmt, dass Papst Benedikt aus dem Apparat heraus vor die Alternati­ve gestellt wurde: „Entweder Kardinalstaatssekretär Bertone und einige andere – oder ich“ (vgl. FAZ, 21.2.2013), dann war der Rücktritt auch ein Nein zu dem Versuch aus dem Apparat, den Papst zu regieren – selbst dann, wenn die Bertone-Gegner gute Gründe dafür hatten oder hätten, Bertones Rücktritt zu fordern. Mit dem Rücktritt hat Benedikt seinem Nachfolger ein Instrument in die Hand gegeben, um die Machtverhältnis­se in der Kurie wieder zu klären. Ein von gewachsenen Loyalitä­ten unabhängiger Nachfolger wird zum Beispiel aus dem bislang unveröffentlichten „Vatileaks“-Be­richt der drei Kardinäle Herranz, Tomko und De Giorgi seine Schlüsse daraus ziehen können – und die Kardinäle bei ihrer Wahlentscheidung eben­falls, wenn sie es denn wollen.

Es ist sehr zu wünschen, dass auf dem anstehenden Konklave nach einem Kandidaten Ausschau gehalt­en wird, der Regierungs- und Durchsetzungskompetenz hat, um den vatikanischen Apparat wie­der zu ei­nem dienenden Instrument zu machen. Davon würde auch die gesamte katholische Kirche profitieren, in der das Vertrauen auch deswegen in den letzten Jahren Schaden genommen hat, weil informelle Lei­tungsstrukturen und Seilschaften die geregelten Verfahren außer Kraft gesetzt haben.

Papst Benedikt hat mit seiner Rücktrittsankündigung sowohl dem Papstamt als auch der gesamten Kir­che einen Dienst erwiesen. Am Ende seines Pontifikates hat er Geschichte geschrieben. Es bleibt zu hof­fen, dass sich gerade in der Hierarchie viele von diesem Schritt inspirieren lassen und der kairós für die katholische Kirche genutzt wird. Viele Katholiken warten darauf, und viele Nicht-Ka­tholiken auch, die der gegenwärtige Zustand der katholischen Kirche aufrichtig jammert.

Klaus Mertes SJ (1954) ist Kollegsdirektor kam Kolleg St. Blasien. Er hat Slawisitik und Klass. Philologie in Bonn studiert und 1977 in den Jesuitenorden eingetreten. Anschließend studierte er Philosphie und kath. Theologie in München und Frankfurt a. M. und wurde 1986 zum Priester geweiht. Nach dem 2. Staatsexamen für Kath. Religion und Latein war er Lehrer an der St. Ansgar-Schule in Hamburg und am Canisius-Kolleg in Berlin, dessen er Rektor er 2000-2011 war. Klaus Mertes ist Mitglied im Zentralkommitte der dt. Katholiken und im Kuratorium Stiftung 20. Juli 1944

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