KULTURCHRISTEN STATT KIRCHENCHRISTEN ?

Christian Koecke bewertet Umfragen zur Verankerung des Christentums in der deutschen Gesellschaft.

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Christian Koecke

Kulturchristen statt Kirchenchristen?

Die jüngste Allensbach-Umfrage zu Christentum und Politik

In diesen Tagen wurde eine neue Untersuchung des Instituts für Demoskopie Allensbach zu Christentum und Politik veröffentlicht. Diese Analyse reiht sich in die seit Jahrzehnten von Allensbach auf diesem Feld getätigten Untersuchungen ein, aber auch in andere Analysen, z.B. dem Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung von 2008 oder der Umfrage der Konrad-Adenauer-Stiftung von 2002 (Bernhard Vogel (Hg.), Religion und Politik. Freiburg: Herder 2003).

Allensbach stellt in Bezug auf die Auffassungen der Befragten zu Christentum und Politik ein „uneinheitliches Bild“ fest. Worum geht es?

Zunächst einmal stellt Petersen die weiter fortschreitende Abwendung der Bevölkerung von der Kirche und den Rückgang der Religiosität heraus. Dieser Befund ist so wahr und so oft wiederholt, dass er für sich keine Aufmerksamkeit mehr erzeugt. Allenfalls die Entwicklung, also der Neigungswinkel des Niedergangs, kann noch aufhorchen lassen. Zieht man dazu die KAS-Umfrage heran, zeigt sich ein verstärkter Rückzug von christlichen Glaubensinhalten. Damals bekannten sich z.B. 52% zur Trinität, bei Allensbach heute sind es nur noch 32% der Befragten. In einem kommentierenden Artikel war damals von der „halbierten Glaubensgesellschaft“ die Rede. Die jetzigen Zahlen sind schonungsloser: Sie sprechen nur noch von einem Restdrittel von Deutschen, die wesentlichen Elementen der christlichen Lehre zustimmen.

Wo etwas verschwindet, wird es durch anderes ersetzt. Auf einer ersten Stufe von Kompensation stellt Allensbach die Zunahme dogmatisch weniger klar umrissener, „weicher“ Glaubensinhalte fest: „überirdische Macht“ (53%), „Schutzengel“ (54%), „Seelenwanderung“ (20%) sogar „verschiedene Götter“ (10%) deuten auf ein neues westöstliches Wohlfühlamalgam hin, in dem vieles zusammenfließt, was nur durch eines aus Sicht der „Gläubigen“ geadelt ist: Es wird nicht von Drohbotschaftern in schwarzer Dienstkleidung vorgetragen.

Die Kompensation zweiter Stufe ist noch interessanter: die Verlagerung vom Kirchenchristentum zum Kulturchristentum. Mit diesem Begriff wird allgemein eine Haltung beschrieben, in der zwar die kulturellen, moralischen und politischen Errungenschaften und Elemente des Christentums geteilt werden, aber die eigentlichen Glaubensinhalte in den Hintergrund rücken. Die Allensbacher haben eine Reihe Belege dafür gesammelt, dass eine Mehrheit der Bevölkerung sich mit der christlichen Tradition des Landes identifiziert und eine vom Christentum geprägte politische Kultur gutheißt. Z.B. spricht sich eine relative Mehrheit von 48% dafür aus, dass das Christentum „eine bevorzugte Stellung“ in Deutschland haben solle.

In der KAS-Umfrage war schon damals  auffällig, wie aus der halbierten Glaubensgesellschaft eine Zweidrittel-Gesellschaft wurde, wenn man nach Religionsunterricht in öffentlichen Schulen, christlichen Symbolen in staatlichen Institutionen, nach christlichen Werten in der Politik etc. fragte. Wir haben damals eine breite Zustimmung zum Status quo des bundesdeutschen Staat-Kirche-Verhältnisses und eine weitgehende Sympathie für eine wertorientierte und christlich motivierte Politik festgestellt. Das Christliche wird also als ein Ordnungsrahmen, als „Stoff“, der „die Gesellschaft zusammenhält“, d.h. in seiner Funktionalität ausdrücklich gutgeheißen. Es ist mehrheitlich als Mittel gewünscht, aber nicht mehr als Zweck.

Welche politische Strömung kann aus dieser Haltung einen Vorteil ziehen? Allensbach kommt zu einem für Christdemokraten bitteren Ergebnis: „Der Begriff der christlichen Politik (ist) mit Inhalten aufgeladen worden, die man eher als links oder linksliberal denn als konservativ bezeichnen kann.“ In der KAS-Umfrage wurden damals auch zwei Fragen zur Christdemokratie gestellt. Ernüchternd für jede christdemokratisch gestimmte Runde war das Ergebnis der zweiten Frage, nämlich die, ob die CDU dem Anspruch des „C“ genüge und tatsächlich christliche Wertvorstellungen umsetze. 73% (!) verneinten diese Frage, nur 16% (darunter nicht überproportional viele CDU-Anhänger) bejahten sie.

Allensbach ist in der Analyse jetzt weiter gegangen und hat nachgeforscht, was die Menschen denn als „christlich“ im Unterschied zu „konservativ“ empfinden. Hier liegt ein methodisches Potential, aber auch eine Ungenauigkeit. „Christlich“ und „konservativ“ sind ja nun nicht diametral verschieden, eine trennscharfe Bestimmung ist daher nicht möglich. „Konservativ“ ist darüber hinaus ein in der Politikdebatte in Deutschland so verbrannter Begriff, dass er synonym mit „reaktionär“, „unbarmherzig“, „prinzipienreiterisch“ stark emotional besetzt ist. „Konservativ“ ist auch beileibe nicht deckungsgleich mit den Positionen der CDU. Allensbach will aus diesen Zahlen erkennen, dass „christlich“ eher mit „linken“ Begriffen assoziiert wird. Aber die CDU hat sich den Sozialstaat, den Einsatz für die Schwachen und die Entwicklungshilfe genauso auf die Fahnen geschrieben wie SPD und Grüne, das Christlich-Soziale ist ihr Markenkern. Hier ist das demoskopische Mikroskop also noch nicht fein genug eingestellt.

Aussagekräftiger ist dagegen, dass die klassischen Überzeugungselemente konservativer Christen (gegen Abtreibung, gegen die Homo-Ehe, gegen den verkaufsoffenen Sonntag) nicht mit „christlich“, sondern mit dem Pariawort „konservativ“ belegt werden. Hier hat sich allerdings ein grundlegender Sinneswandel vollzogen. Die Bevölkerung scheint meilenweit entfernt zu sein von den trennenden Deduktionen der christlichen Morallehre, wie sie die meisten katholischen Bischöfe und ein Teil der evangelischen Kirche vollziehen. „Christlich“ wird zum Inbegriff einer wohlmeinenden und  unterstützenden Haltung gegenüber den typischen Protagonisten des progressiven Zeitgeistes: den bedrängten Minderheiten, den sozial Schwächsten, den Opfern „repressiver Systeme“. Eine Politik für den selbstverantwortlichen Mittelstand oder die Stärkung der klassischen Familie mit selbständigem Erziehungsauftrag der Eltern gerät da aus dem Blick und wird offensichtlich immer weniger mit „christlich“ assoziiert. Die CDU hat sich darauf eingestellt und folgt dem wandernden Begriffsfeld.

Dr. Johann Christian Koecke (1958), hat Philosophie und Geschichte studiert. Seit 1993 ist er in wechselnden Funktionen bei der Konrad-Adenauer-Stiftung beschäftigt, mit dem Schwerpunkt Religion und Politik sowie Politische Grundsatzfragen.

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