LIEBE FRAU MERKEL

Anja Carolina Siebel, Journalistin und nach eigenem Bekunden noch nie CDU-Wählerin bedankt sich einem offenen Brief bei Bundeskanzlerin Angela Merkel für deren Souveränität in der Corona-Krise.

Den folgenden Text können Sie hier ausdrucken.

Anja Carolina Siebel

Liebe Frau Merkel,

Sie sehen sehr müde aus. Aber eigentlich wundert mich das auch nicht, bei der Verantwortung, die besonders derzeit auf ihren Schultern lastet. Entscheidungen zu treffen, die die Gesundheit und eben auch die wirtschaftliche Zukunft eines ganzen Volkes, einer ganzen Gesellschaft betreffen, das ist schon harter Tobak. Und wenn es auch eine Reihe von Ministern und Ministerinnen gibt, die diese Entscheidungen mittragen: Am Ende schauen wir doch alle auf Sie. Und wenn Sie da, so leicht wippend im Gang, mit ihrem Blazer und ihren schon leicht zu lang gewordenen Haaren (glauben Sie mir, wir Frauen warten alle auf die Öffnung der Frisörsalons) zu dem für sie vorbereiteten Podium schreiten, dann hängen wir vor unseren Bildschirmen und Smartphones und möchten doch schon gern wissen, was „die Chefin“ denn jetzt zu sagen hat.

Ich bewundere Sie besonders in dieser Zeit für Ihre Souveränität und Ruhe. Das gibt mir auch immer ein bisschen davon. Im Moment scheint die Welt für uns alle unwirklich. Die Straßen sind leergefegt, die Restaurants verlassen, die Theater, Kinos und Bars menschenleer. Als sie neulich in einer Ihrer Ansprachen andeuteten, dass Sie, Sie persönlich als ehemalige DDR-Bürgerin, all die Unfreiheiten, mit denen wir jetzt leben müssen, besonders beschäftigen, besonders mitfühlen können, was viele gerade durchleben, da habe ich Ihnen das abgenommen. Sie sind authentisch in diesen Tagen. Und als der RTL-Reporter Sie vor ein paar Tagen bei einer Pressekonferenz fragte, was Sie denn am Wochenende gemacht hätten, trotz der Ausgangsbeschränkungen, da konnte ich ihm das nicht einmal verübeln. Ich hätte es – ehrlich – auch ganz gern gewusst. Aber Sie haben die sehr persönliche Frage wie so oft weggelächelt. Und mit einer diplomatischen Antwort abgetan. Auch das konnte ich verstehen.

Viele kritisieren seit Jahren Ihre Politik der kleinen Schritte, ihr scheinbares „Aussitzen“ vieler entscheidender Fragen. Das ist zugegeben auch nicht jedermanns Sache. Und sicher auch nicht immer der Königsweg. Im Moment, in dieser Corona-Pandemie, in einer Situation, in der wir alle noch niemals waren, erscheint es mir goldrichtig. Denn allzu hysterisch und aufgeregt, ja, fast aus dem Ruder gelaufen, erscheint mir diese Welt, erscheinen mir die Menschen zurzeit allzu oft. Die sozialen Netzwerke sind nicht nur prall gefüllt mit Verschwörungstheorien – das war ja eigentlich immer schon so. Plötzlich sind da auch Menschen, die nichts lieber möchten als „erstmal weggesperrt“ zu werden. Die mit Sorge Grüppchen im Park beobachten, weil sie befürchten, „dass uns das das Genick bricht“. Ich fürchte mich ein bisschen vor dieser kritiklosen Bereitschaft, all das auf unbestimmte Zeit aufzugeben, was uns normalerweise so wichtig ist. Das Recht auf Bewegungs- und Reisefreiheit zum Beispiel. Aber auch die Glaubensfreiheit, die Freiheit, sich zu entfalten und Gemeinschaft zu pflegen. Ich bin mir dennoch sicher, dass Sie um dieses Dilemma wissen. Sie mahnen zwar manches Mal zur Vernunft. Dass Sie sich bewusst sind, wie schwer es oft ist, diese Vernunft auf unbestimmte Zeit zu wahren, glaube ich fest.

Die Phase, in der wir uns gerade befinden, ist sehr tricky. Das wissen Sie umso besser. Denn jetzt wird sich möglicherweise zeigen, ob die sogenannten „Lockerungen“ nicht wieder dazu führen, dass die Infektionszahlen wieder nach oben schnellen und möglicherweise nochmal ein Shut Down erfolgen muss. Tun Sie das langfristig nicht, laufen Sie Gefahr, dass Ihnen und der Bundesregierung vorgeworfen wird, das alles hätte „doch gar keinen Sinn ergeben“. Aber auch diese Zwickmühle werden Sie irgendwie meistern, das weiß ich schon jetzt.

Ein bisschen lächeln muss ich, dass ich Ihnen jetzt diesen Brief schreibe. Ich kann mich noch gut erinnern, dass ich, nie CDU-Wählerin, im Jahr 2005, als Sie zur Bundeskanzlerin gewählt wurden, einen großen Aufschrei getan habe. Ich konnte Sie lange nicht akzeptieren. Die Gründe sind vielfältig und tun hier eigentlich gar nichts zur Sache. Charisma, das hatte ich Ihnen sowieso nie zugetraut. Das änderte sich spätestens im Sommer 2017, als Sie nahe meiner Heimatstadt quasi „auf Besuch“ waren und ich als Journalistin die Gelegenheit bekam, Sie live und aus der Nähe kennenzulernen. Von Frau zu Frau: Sie haben das schon. Sie wissen genau, was Sie tun, Sie tun es überlegt, niemals überstürzt und Sie wägen ab. Und ich glaube, das wissen inzwischen immer mehr Bürger zu schätzen.

Am Ende bleibt mir, Ihnen alles Gute zu wünschen. Das hört sich so platt an. Aber das meine ich ganz ernst. Alles Gute, Frau Merkel.

Vielleicht noch eines (ein bisschen wie Colombo muss ich doch nochmal zurückkommen): Ich bin sehr froh, dass Sie es sind, die derzeit darüber entscheiden, wie es in Deutschland in der nächsten Zeit weitergeht. Und nicht irgendwer anders.

Fühlen Sie sich umarmt. Und weil das gerade nicht geht: ein Ellenbogencheck. Von Herzen.

Anja Carolina Siebel

 

Anja Carolina Siebel (1976) arbeitet als Redakteurin und Teamleiterin der Redaktion „Bergisches Land“ beim Remscheider General-Anzeiger. Nach dem Abitur in Wermelskirchen studierte sie Germanistik, Soziologie und Linguistik an der Uni Köln, und ist seit ihrem 17. Lebensjahr freie Mitarbeiterin bei Zeitungen, Radiosendern und in verschiedenen Agenturen.

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