WAS EUROPA AUS CORONA LERNEN MUSS

Roland Freudenstein sieht in der Corona-Krise nicht das Ende der europäische Integration, sondern plädiert für eine Fortsetzung des eingeschlagenen Weges.

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Roland Freudenstein

Was Europa aus Corona lernen muss

Die globale Krise als Folge von COVID-19 könnte unsere Welt in einem Maße verändern, das wir erst zu verstehen beginnen. Gleichzeitig wird nicht alles auf den Kopf gestellt, was bisher richtig oder falsch war, im Gegenteil: Wirtschaftliches Wachstum wird auch weiterhin nötig sein, um Wohlstand und Freiheit zu sichern. Die liberale Demokratie, mit Rechtsstaat und checks and balances, bleibt das Gesellschaftsmodell mit den besten Chancen, Freiheit und Sicherheit einer größtmöglichen Zahl von Menschen zu sichern. Und eine auf rationale Regeln fußende internationale Ordnung bleibt die beste Garantie gegen Kriege, Chaos und Instabilität. Mit anderen Worten: Ein Ende der Marktwirtschaft (wie es sich manche Linke und Grüne erträumen), eine neue Ära der überstarken Staaten und der reinen Mehrheitsherrschaft (wie mancher Autokrat, auch in der EU, hofft) und eine Rückkehr zur freien Konkurrenz von Großmächten mit Einflusssphären und Stellvertreterkriegen (was Putin und Xi Jinping anstreben) wäre nicht nur ein historischer Rückschritt. Sondern mit den Technologien des 21. Jahrhunderts der Beginn eines globalen Alptraums.

Das ist der Hintergrund, vor dem wir die letzten Monate beurteilen und Schlüsse für die Zukunft der EU ziehen müssen.

  1. Nur gemeinsam schaffen wir das!

Klar ist: In den ersten Reaktionen auf die Pandemie hat sich niemand in der EU mit Ruhm bekleckert – weder die Brüsseler Institutionen noch die Mitgliedstaaten. Bei Grenzschließungen und der versuchten Blockade von Maskenlieferungen in andere Mitgliedsländer war sich zunächst jeder selbst der nächste. Die EU -Kommission nahm das Problem zu spät Ernst. Das änderte sich im Laufe des April, als gegenseitige Hilfe der Mitgliedstaaten zur Regel wurde und die Kommission erfolgreich wenigstens Krisenmaßnahmen ansatzweise koordinierte.

Das emotionale Desaster in den südlichen Mitgliedstaaten war damals aber schon Realität, und es verschlimmerte sich noch in der Diskussion um die finanzielle Solidarität in der Eurozone. Inzwischen ist klar: Einerseits wird es keine Coronabonds geben, also keine Schuldenvergemeinschaftung. Es wird aber einen Wiederaufbaufonds geben, der alles in den Schatten stellt, was an gemeinsamer wirtschaftlicher Kraftanstrengung bisher in der Geschichte der EU passiert ist. Dass die Starken den Schwachen helfen müssen, und zwar überproportional, ist jetzt Beschlusslage. Deutschland und die anderen nördlichen Mitgliedstaaten haben ein mindestens ebenso großes Interesse am Überleben der Eurozone wie die übrigen, und an einem Zusammenbruch von Volkswirtschaften wie der italienischen kann niemandem gelegen sein.

Aber Solidarität ist eine Zweibahnstraße, und das in den letzten Monaten oft von Süden vorgebrachte Argument, wer gegen Coronabonds sei, sei gegen Solidarität, kann nicht gelten. Die Suche nach der für alle besten Lösung in der Krise muss auf Argumenten basieren, und sie wird – wie sich jetzt schon abzeichnet – von Kompromissen geprägt sein. Das hat Tradition in der EU. Gleichzeitig ist aber auch klar, dass der europäische Bundesstaat so schnell nicht kommen wird, Corona hin oder her. Sogar eine Vergemeinschaftung der Kompetenzen in der Gesundheitspolitik, wie sie jetzt von vielen gefordert wird, würde eine Vertragsänderung voraussetzen, die die Referenden in diversen Mitgliedstaaten nicht überleben würde.

  1. Der autoritären Versuchung begegnen

Krisen und Notlagen sind immer eine große Versuchung für Autokraten, ihre Macht auszuweiten. Da machen Viktor Orbán in Ungarn und Jarosław Kaczyński in Polen keine Ausnahme. Es gibt aber auch andere Regierungschefs, z.B. in Bulgarien und Malta, die die Situation ausnutzen, aber die eklatantesten Beispiele finden sich in Warschau und Budapest. In Polen versucht die Regierung, eine Präsidentenwahl durchzuziehen, obwohl im Moment weder für eine klassische Wahl mit Kabinen noch eine Briefwahl die Voraussetzungen bestehen. Und sie versucht das nur weil derzeit, am Beginn der Corona-Krise, durch den Wagenburg-Effekt die Umfragen für den Amtsinhaber von Kaczyńskis Gnaden positiv sind und sich in der kommenden Wirtschaftskrise nur verschlechtern können.

In Ungarn hat sich Viktor Orbán vom Parlament einen Freibrief ausstellen lassen, der es ihm ermöglicht, nicht nur per Dekret zu regieren (das gibt es auch anderswo in der EU), sondern auch den Ausnahmezustand erst zu einem ihm genehmen Zeitpunkt zu beenden. Inzwischen läuft eine Propagandawelle gegen die Opposition (‘steht auf der Seite des Virus’), ‘Falschmeldungen’ im Zusammenhang mit Corona (also auch Kritik an den Maßnahmen der Regierung) können mit bis zu 5 Jahren Gefängnis bestraft werden und die Regierung lässt Betriebe von Soldaten führen.

Die Möglichkeiten der EU (und das heißt vor allem der übrigen Mitgliedstaaten), mit solchen klaren Verletzungen ihrer Grundwerte umzugehen, ist sehr begrenzt. Neben einer öffentlichen Nennung solcher Verletzungen, die unangenehm ist, aber keine konkreten Konsequenzen hat, ist eine Bindung von EU-Strukturmitteln an Rechtsstaatlichkeit im Empfängerland denkbar und wird derzeit, auch und gerade in der Corona-Krise, heiß diskutiert. Wie so etwas gegen Polen, Ungarn und möglicherweise andere Mitgliedstaaten durchgesetzt werden soll, ist aber noch nicht klar.

  1. Die Zukunft des Westens

Die Coronakrise hat auch gezeigt, in welchem Ausmaß autoritäre Mächte wie China und Russland die Pandemie nutzen, um den Westen und seine Demokratien zu schwächen. Besonders China hat sich in den Vordergrund geschoben mit seinem Versuch, trotz seiner eigenen Vertuschungen am Beginn der Pandemie als Sieger im Systemwettberwerb dazustehen. Doch die chinesischen Hilfslieferungen erwiesen sich oft als mangelhaft, und der brutale politische und psychologische Druck, der inzwischen gerade auf die EU und ihre Mitgliedstaaten ausgeübt wird, fällt gerade massiv auf China zurück. Er wird zu einer verstärkten Tendenz in Europa führen, sich in bestimmten Sektoren – im Pharmabereich und in der Hochtechnologie, z.B. 5G – von China abzukoppeln und unabhängiger zu werden. Die Rivalität zwischen China und den USA wird der bestimmende geopolitsche Konflikt des kommenden Jahrzehnts. Und dabei hat Europa nur die Option, sich im Prinzip an die Seite der USA zu stellen. Das ist die beste Garantie dafür, dass eine rudimentäre globale Ordnung erhalten bleibt. Das heisst natürlich auch, dass Europa seine Verteidigung besser strukturieren und seine militärische Interventionskapazität erhöhen muss, was angesichts der beginnenden Rezession schwierig werden dürfte. Aber wenn uns unsere Freiheit lieb ist, wird es dazu keine Alternative geben.

Die Coronakrise wird unser Leben verändern. Aber sie bedeutet weder das Ende der europäischen Integration, noch führt sie zum großen Sprung nach vorn. Und wenn wir die richtigen Schlüsse aus der Krise ziehen, können wir immer noch das Beste aus einer schlimmen Situation machen.

 

 

Roland Freudenstein (1960)  ist Policy Director im Wilfried Martens Centre for European Studies, der parteinahen Stiftung der Europäischen Volkspartei in Brüssel. Er hat in der Vergangenheit u.a. für die Europäische Kommission und die Konrad Adenauer Stiftung gearbeitet und publiziert regelmäßig zu Themen der EU, der Sicherheitspolitik und globalen Demokratieförderung.

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