KIRCHE BRAUCHT DIALOG

Friedrich Kronenberg war 1966 – 1999 Generalsekretär des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) und entscheidend an der Vorbereitung und Durchführung der letzten Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland beteiligt, die 1971 – 1975 in Würzburg stattfand. Gerade angesichts den Einspruchs aus Rom plädiert er nachdrücklich für den synodalen Weg, der wesentlich zur Orientierung auf dem Weg der Kirche in Zukunft und zu einer zeitgerechten Verfassung der Kirche beitragen kann.

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Friedrich Kronenberg
Ist der „Synodale Weg“ ein Weg zur synodalen Verfassung der Kirche?

Als Antwort auf die Vertrauenskrise, mit der sich die katholische Kirche nicht zuletzt wegen des Missbrauchsskandals konfrontiert sieht, haben die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) und das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken (ZdK) einen „synodalen Weg“ vereinbart. Gemeinsam wollen Bischöfe und Laien in einem geordneten Verfahren über die Themen Macht, Sexualmoral, priesterliche Lebensform sowie die Rolle von Frauen in der Kirche sprechen und zu gemeinsamen Empfehlungen kommen. Dafür wurde ein Satzungsentwurf erarbeitet. Aus dem Vatikan meldete jetzt der Kardinalpräfekt der Bischofskongretation Marc Ouellet Bedenken gegen diesen Weg an. Dazu will der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, bald in Rom „etwaige Missverständnisse“ ausräumen. Der ZdK-Vorsitzende Thomas Sternberg warnte davor, „in einer solchen Krise der Kirche das freie Gespräch, das nach Ergebnissen und notwendigen Reformschritten sucht, unterdrücken“. Friedrich Kronenberg war 1966 – 1999 ZdK-Generalsekretär und entscheidend an der Vorbereitung und Durchführung der letzten Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland beteiligt, die 1971 – 1975 in Würzburg stattfand. Er plädiert nachdrücklich für den synodalen Weg, der wesentlich zur Orientierung auf dem Weg der Kirche in Zukunft und zu einer zeitgerechten Verfassung der Kirche beitragen kann. Dazu seien auch gemeinsame Voten von Bischöfen und Laien nach Rom notwendig. Die Würzburger Synode gebe ein gutes Beispiel wie der notwendige offen und kritische Dialog in der katholischen Kirche organisiert werden könne. Wer davor in Rom oder der Bischofskonferenz zurückschrecke, müsse Alternativen aufzeigen. Nur in einer offenen Diskussion über ihre gegenwärtige Verfassung könne die Kirche ihrer Verantwortung gerecht werden.

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Friedrich Kronenberg

Ist der „Synodale Weg“ ein Weg zur synodalen Verfassung der Kirche?

Es ist kaum zu fassen: fast fünf Jahrzehnte hat die Kurie in Rom zu den Voten der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland1), der Würzburger Synode, geschwiegen, die diese als Ergebnis ihrer Beratungen in Form von Bitten und Vorschlägen an den Papst unserer Weltkirche gerich­tet hatte, um dessen Zustimmung zu kirchlichen Veränderungen zu erhalten, die in die weltkirchliche Zuständigkeit fallen. Jetzt, da die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) und das Zentralkomitee der deut­schen Katholiken (ZdK) einen Synodalen Weg beschreiten wollen, der zwar den synodalen Gedanken aufgreift, aber noch keineswegs eine Gemeinsame Synode ist, wird dieses Schweigen beendet.

Das Schweigen wird beendet im Zusammenhang mit der Erarbeitung einer Satzung für den Synodalen Weg in der deutschen Kirche und zwar durch einen Brief des Präfekten der Kongregation für die Bischö­fe, dem ein Gutachten des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte vom 1. August 2019 beigefügt ist.2) Ohne zu wissen, wozu man Jahrzehnte lang geschwiegen hat, wird dort erklärt: „Wie kann eine Teilkir­che verbindliche Beschlüsse fassen, wenn die behandelten Themen die Weltkirche betreffen?… Wie kann eine Versammlung einer Teilkirche über Themen der Weltkirche beschließen und wie kann sich eine Bischofskonferenz von einer Versammlung dominieren lassen, von der die meisten Mitglieder kei­ne Bischöfe sind?“

So erfreulich die Beendigung des Schweigens ist, mehr Kenntnis kirchenrechtlicher Möglichkeiten bei Satzungen für synodale Vorgänge hätte man beim Päpstlichen Rat für die Gesetzestexte schon erwarten dürfen. Das von der römischen Kurie gut geheißene Statut der Würzburger Synode ist dem Päpstlichen Rat offensichtlich unbekannt. Offensichtlich hat dem Päpstlichen Rat eine Schreibtischarbeit genügt, die ihm selbst dumm vorgekommen wäre, wenn er sich mit den geschichtlichen und rechtlichen Fakten ver­traut gemacht hätte.

Aber zunächst zu den aktuellen Vorhaben der Bischöfe und der Laien sowie zu den damit gegebenen Möglichkeiten. Der „Synodale Weg“ ist keine Synode, er will das auch nicht sein. 0b er trotzdem ein Weg zu einer Synode sein kann, sollte geprüft werden. Warum könnte es richtig sein, dass er ein Weg zur Synode wird? Welchen Grund gibt es für eine Synode in Deutschland? Ist die Fortentwicklung einer konzilsgerechten und die Zeichen der Zeit aufgreifenden Kirchenverfassung – also eine synodale Kir­chenverfassung – ein solcher Grund? Erfordert das Bemühen um die Gestaltung einer synodalen Kir­chenverfassung die Einberufung einer Synode, zu der Bischöfe, Priester, Ordensleute und Laien zusam­menkommen?  Das Bemühen, eine fundamentale Fortentwicklung unserer Kirchenverfassung zu errei­chen, dürfte die Einberufung einer Synode erforderlich machen. Aber vieles spricht auch dafür, dass wir inzwischen synodenunfähig sind. Der Synodale Weg könnte jedoch der Frage nachgehen, „was ist zu tun, damit die Kirche in Deutschland wieder synodenfähig wird, dass eine Synode durchgeführt werden kann, die der Würzburger Synode vor fünf Jahrzehnten vergleichbar ist.“ Soll der Synodale Weg dieser Frage nachgehen?

Viele Laien, Priester und Bischöfe kennen die Würzburger Synode nur vom Hörensagen, vielleicht auch aus den Geschichtsbüchern. Daher einige Anmerkungen: Synoden sind für die Fortgestaltung der kirch­lichen Verfassung unverzichtbar. „Eine Synode versammelt benachbarte Ortskirchen, indem sie einer­seits die Einzelgemeinden im Leben der Kirche zur Geltung bringt und andererseits sie durch die Ge­meinschaft der Kirchen untereinander… vor schädlichen Sonderentwicklungen bewahrt“ (Karl Leh­mann)1). Das gilt auch für die Würzburger Synode.

Die allgemeine Unruhe unter den Katholiken nach dem Konzil und auf dem Essener Katholikentag 1968 war rückblickend wirklich ein „Kairos“ (Franz-Xaver Kaufmann), um die Würzburger Synode auf den Weg zu bringen. Hinzukam jedoch, dass die Planung und Durchführung einer solchen Synode überzeu­gender Begründungen bedurften. Die Herausforderungen, die sich der Kirche damals stellten, waren al­len Diözesen gemeinsam. Aus Gründen der Arbeitsökonomie und der Gemeinsamkeit im Handeln sprach alles für eine Gemeinsame Synode. Das setzte aber einen Konsens im (ZdK) und in der (DBK) voraus. Diesen Konsens gab es damals, er wurde durch offenen und ehrlichen Dialog erreicht. Auch da­mals galt: Jeder Diözesanbischof, der einer Gemeinsamen Synode nicht zustimmt, verhindert, dass sie möglich wird.

Konsens in der Bischofskonferenz ist auch die Voraussetzung dafür, dass ein Statut für eine Gemeinsa­me Synode im Sinne der Würzburger Synode von Rom gebilligt wird. Das Kirchliche Gesetzbuch (CIC), sieht eine solche Synode nicht vor, damals wie heute.

Im Februar 1969 beschloss die Vollversammlung der DBK, „eine Gemeinsame Synode der Diözesen in der Bundesrepublik Deutschland vorzubereiten und die dafür erforderlichen Voraussetzungen zu schaf­fen“. Zwei Tage später teilte der Apostolische Nuntius Bafile dem Vorsitzenden der DBK Kardinal Döpfner die Zustimmung des Heiligen Stuhls zur Durchführung der Synode mit sowie das Einverständ­nis mit den geplanten Abweichungen von den kanonischen Vorschriften. Im Zusammenhang damit wur­de die Bitte geäußert, in Fragen der Formulierung der Geschäftsordnung engen Kontakt zu halten, weil offensichtlich in der römischen Kurie der Würzburger Synode Modellcharakter für weitere Synoden in der Weltkirche zugeschrieben wurde. Die tatsächliche Entwicklung ist – wie bekannt – eine andere. Der CIC, das Kirchliche Gesetzbuch von 1983 kennt Vergleichbares zur Würzburger Synode nicht.

In der Würzburger Synode waren die Rechte der Bischofskonferenz und des Papstes voll gewahrt. Bera­tungsgegenstände wurden nur im Einvernehmen mit der Bischofskonferenz festgesetzt. Anträge, deren Gegenstände einer gesamtkirchlichen Regelung vorbehalten sind, konnten nur in Form eines Votums an den Heiligen Stuhl eingebracht werden. Eine Beschlussfassung der Vollversammlung der Synode war nicht möglich, wenn die Bischofskonferenz Bedenken geltend machte, die in ihrer Lehrautorität oder im bischöflichen Gesetzgebungsrecht begründet waren. Spätestens während der zweiten Lesung mussten aber Bedenken der Deutschen Bischofskonferenz, die in ihrer Lehrautorität oder im Gesetzgebungsrecht der Bischöfe begründet waren, der Vollversammlung mit entsprechender Begründung bekannt gegeben werden. So hatte die Vollversammlung die Möglichkeit, auch über diese Bedenken zu beraten und gege­benen Falls zu modifizierten Ergebnissen zu kommen.

Auf diese Weise wurden die Bischöfe voll in die Synode integriert. Sie haben in der Synode selbst mit abgestimmt und gleichzeitig blieb ihre potestas episcopalis voll gewahrt. Das Statut war ekklesiologisch sauber formuliert und hat seine Bewährungsprobe in der Praxis voll bestanden. Erfolglos blieben die Vo­ten an den Heiligen Stuhl in Fragen, die einer gesamtkirchlichen Regelung vorbehalten sind. Zwar wur­den auch diese Voten sauber formuliert und von der Vollversammlung unter der beschriebenen Beteili­gung der Bischöfe beschlossen, leider bestand jedoch die römische Beteiligung an dem von der Kurie selbst gebilligten Verfahren in der Regel aus Schweigen.

Dialog und nicht Dialogverweigerung ist eine Grundvoraussetzung für ein Gelingen synodaler Vorha­ben. Rom hat mit dem Konzil Möglichkeiten eröffnet, die von Rom später zunichte gemacht wurden. Diese Erfahrungen müssen angesichts der Entwicklungen in Rom unter Papst Franziskus für die gegen­wärtigen Überlegungen neu reflektiert werden.

Ich habe darauf hingewiesen, dass das Konzil eine entscheidende Voraussetzung für die Gemeinsame Synode war. Auf dem Konzil haben die Bischöfe öffentlich zu kommunizieren gelernt. Das Konzil hat vielen Laienchristen zu einem wirklichen Aufbruch verholfen. Aber auch das Konzil lebte von Voraus­setzungen, die es selbst nicht gewährleisten konnte. Und dabei geht es nicht nur um die Führung des Heiligen Geistes; es geht auch um ganz unterschiedliche geschichtliche Tatsachen, ohne die das Konzil, wie auch die Würzburger Synode kaum gedacht werden können.

Eine unvollständige Aufzählung mag das verdeutlichen: Laienkatholizismus, kirchliche Jugendbewe­gung, Familienarbeit, Bibelbewegung, Frauenarbeit, Liturgische Bewegung, ökumenische Bewegung, Sozialkatholizismus, Politischer Katholizismus, Caritatives Engagement, weltkirchliches Engagement, schulische Erziehung, Bildungsarbeit und Akademien, theologische und andere Wissenschaften und so weiter. Wie steht es heute um vergleichbare Voraussetzungen?  Eine Selbstbesinnung aller Akteure ist unverzichtbar, wenn es um die Frage einer erneuten Gemeinsamen Synode in Deutschland geht.

Es genügt nicht, aus der Geschichte Wegweisung für die Zukunft zu erwarten. Auch über die Gegenwart gilt es zu diskutieren, zu streiten und im Dialog Visionen für einen gemeinsamen Weg in die neue Zeit reifen zu lassen. Die gemeinsame Meinungs- und Willensbildung kann in unserer Zeit nicht durch Weg­weisung von oben ersetzt werden. Die Wegweisung von oben muss sich in den Meinungs- und Willens­bildungsprozess einbringen und sich als Weisung Jesu Christi erweisen, dessen Ruf zur Nachfolge aller­dings an jeden Jünger und jede Jüngerin ergangen ist.

Der Synodale Weg, den die Deutsche Bischofskonferenz und das Zentralkomitee der deutschen Katholi­ken gemeinsam begonnen haben, bietet die Chance, den zukünftigen Weg der Kirche in Deutschland in den Blick zu nehmen. Die vier vorgesehenen Themenbereiche – Sexualmoral, Priesterliche Lebensform, Macht in der Kirche, Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche – beinhalten dringende Fragen, die ei­ner Antwort bedürfen. Die zukünftige Verfasstheit der Kirche als Volk Gottes und damit zusammenhän­gend die Verfassung der Institution Kirche ist durch diese Themenkomplexe zwar berührt, aber nicht umfassend in den Blick genommen.

Die Institution Kirche, die von uns Menschen in der nachpfingstlichen Zeit geschaffen wurde, um den Jüngern Christi bei ihrem Kirche-Sein zu dienen, diese Institution bedarf der fortwährenden Gestaltung und Fortentwicklung.

„Ihr macht uns die Kirche kaputt …“ lautet der Titel des höchst lesenswerten, jüngst erschienenen Bu­ches von Daniel Bogner. Er ergänzt seinen Buchtitel mit der Feststellung: „… doch wir lassen das nicht zu!“3)   Hier spricht nicht nur ein Theologe und Politikwissenschaftler, sondern auch jemand, der durch seine Mitarbeit sowohl im gesellschaftlichen als auch im institutionellen Bereich der Kirche praktische Erfahrungen sammeln konnte. Auch wenn man nicht allen Thesen dieser interessanten Schrift zustimmt, sie vermittelt einen hervorragenden Einblick in die Fragen, um die es bei der zukünftigen Verfasstheit und Verfassung unserer Kirche geht.

Zur Klarstellung: Menschen können uns die Kirche nicht kaputt machen, weder Bischöfe, noch Priester oder Laien. Dass Menschen den Ruf zur Nachfolge Christi annehmen, das bleibt Tatsache bis zum jüngsten Tag. Aber die Institution Kirche, die von uns Menschen geschaffen wurde, um den Jüngern Christi, dem Volk Gottes bei ihrem Kirche-Sein zu dienen, diese Institution bedarf der fortwährenden Gestaltung und Weiterentwicklung und sie kann auch „kaputt gemacht“ werden, wenn wir in dieser Ge­staltungsaufgabe versagen. Es ist eine Unsitte, diese Gestaltungsaufgabe in einen Gegensatz zum persön­lichen Glaubensleben zu bringen, indem man etwa behauptet, nicht die kirchlichen Strukturen seien für die Zukunft der Kirche entscheidend, sondern das Leben aus dem Glauben. Beides bedarf unserer Besin­nung. Wir sprechen heute auch von sündigen Strukturen in der Institution Kirche und solche Strukturen beeinträchtigen die Gemeinschaft des Volkes Gottes, also die Kirche.

Wer der Frage nachgeht, in welcher inneren Verfassung sich das Volk Gottes, also die Kirche in Deutschland befindet, wird feststellen, dass die Verfasstheit der kirchlichen Gemeinschaft nicht isoliert von der Verfassung der kirchlichen Institutionen betrachtet werden kann. Damit steht die rechtliche Ver­fassung der Kirche und das geltende Kirchenrecht zur Diskussion. Die Fortentwicklung der kirchli­chen Verfassung ist in den vergangenen Jahrzehnten unvollkommen geblieben, weil die Weltkirche die hierfür erforderlichen Konsequenzen aus den Beschlüssen des II. Vatikanischen Konzils nur unvollstän­dig gezogen hat.

Hinzu kommt das Versäumnis, die Zeichen der Zeit zu erkennen und entsprechende Schlussfolgerungen daraus für die Gestalt der Kirche zu ziehen. „Die Kirche muss (…) von der Welt lernen, sonst kann sie nicht Kirche sein. Es gibt kein Selbstverständnis, kein Denken, keine Theologie ohne Welt. Eine weltlo­se Theologie wäre gar nicht denkbar, auch nicht ohne die soziale Welt“. (Reinhard Kardinal Marx). 4)

Hier ist nicht der Raum, auf die Zeichen der Zeit einen umfassenden Blick zu werfen. Einige Stichworte mögen das Themenfeld beleuchten: christlich frei statt ideologisch fixiert, personale Freiheit statt patri­archaler Bevormundung, solidarisch statt individualistisch, subsidiär statt zentralistisch, teilhabend statt klerikalistisch, demokratiegemäß statt monarchisch, Nachfolge Christi statt Gefolgschaft, Gewaltentei­lung statt Machtmissbrauch. Viele Zeichen der Zeit haben einen christlichen Wurzelgrund.

Wer wie ich vor einem halben Jahrhundert an der Vorbereitung und Durchführung der Gemeinsamen Synode in Würzburg beteiligt war, weiß, warum die rechtlichen Fragen der kirchlichen Verfassung – mit Ausnahme des kirchlichen Verwaltungsrechts – dort nicht thematisiert wurden. Es wurde davon ausge­gangen, dass die päpstliche Kommission zur Überarbeitung des Kirchenrechts das Konzil sachgerecht umsetzen würde. Erste Entwürfe untermauerten diese Beurteilung. Erst die Neufassung des Kirchen­rechts von 1983 belehrte uns eines Besseren. Aber die Würzburger Synode war abgeschlossen, die be­schlossenen Voten nach Rom wurden dort inzwischen ignoriert, das mit den Bischöfen einvernehmlich beschlossene kirchliche Verwaltungsrecht wurde weder überdiözesan noch diözesan umgesetzt.

Das Projekt einer konzilsgerechten und die Zeichen der Zeit berücksichtigenden Kirchenverfassung blieb uns also erhalten. Dass Bischöfe, Priester, Ordensleute und Laien auf einem gemeinsamen Weg die Synodalität unserer Kirche ernst nehmen ist zu begrüßen. Aber der Synodale Weg wird nur dann den Er­fordernissen der Gegenwart gerecht, wenn er auch der Frage nachgeht, wie die Verfassung der Instituti­on Kirche in Zukunft zu gestalten ist, damit die Institution dem Gottesvolk Kirche wirklich dient.

Ich bin davon überzeugt, dass die Beratungen kirchlicher Verfassungsfragen die Vorbereitung und Durchführung einer Synode voraussetzen, die der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesre­publik Deutschland vor fünf Jahrzehnten in ihrer Partizipation des ganzen Gottesvolkes vergleichbar ist.5)

Die Furcht vor Entscheidungen über die zukünftige Verfassung kirchlicher Institutionen ist unange­bracht. Denn diese Institutionen sind von uns unter der Führung des Heiligen Geistes erst nach Pfingsten im Laufe der Geschichte gestaltet worden. Sie können und müssen von uns Christen unter der Führung des Heiligen Geistes in der Zeit zwischen Pfingsten und dem Jüngsten Tag auch fortgestaltet werden. „Die Kirche hat nicht die Freiheit dazu, sich für unfrei zu erklären. Sie hat vielmehr sowohl rechtlich als auch geistlich die Freiheit, Entscheidungen zu treffen. Denn in ihr ist die vorösterliche Legitimation der Zwölf durch Jesus mit der pneumatischen Freiheit der nachösterlichen Apostel verbunden.“ (Klaus Mer­tes) 6)

Es empfiehlt sich daher, dass auf dem Synodalen Weg auch der Frage nachgegangen wird: was muss un­ternommen werden, damit in Deutschland eine von breitester Beteiligung des Gottesvolkes getragene Synode, ähnlich der vor fünf Jahrzehnten in Würzburg durchgeführten, veranstaltet werden kann, wie also die Kirche in Deutschland wieder synodenfähig wird. Man möge nicht einwenden, eine solche Syn­ode sei nach dem geltenden Kirchenrecht nicht möglich. Auch die Synode in Würzburg war nur mit be­sonderer Genehmigung Roms und nicht nach geltendem Kirchenrecht möglich. Da Papst Franziskus im­mer wieder die Synodalität der Kirche betont, wird er die vom geltenden Kirchenrecht erforderliche Ausnahmegenehmigung erteilen. Eine Verweigerung dieser Genehmigung ist unvorstellbar, es sei denn, man unterstellt ein Scheitern dieses Pontifikats.

In einer Synode kann die Verfasstheit des pilgernden Gottesvolkes in unserem Land und damit der Kir­che in Deutschland in den Blick genommen werden und zwar unter breitester Beteiligung aller Kirchen­glieder, so wie das bei der Würzburger Synode der Fall war. Die gegenwärtige „patriarchal-män­nerbündisch verfasste Kirche“ (Daniel Deckers) muss öffentlich und kritisch bewertet werden, einem Meinungsstreit sollte man keineswegs ausweichen. Nur so kann ein Prozess der Meinungsbildung und schließlich der Willensbildung über die Verfassung der Institution Kirche erfolgreich verlaufen. Die rechtliche Verfassung der Kirche bedarf dringend der Weiterentwicklung nach der Lehre des II. Vatika­nischen Konzils unter Berücksichtigung der Zeichen der Zeit. Denn die Institution Kirche hat den Jün­gern Christi, die als Volk Gottes Kirche sind, zu dienen und nicht umgekehrt.

Das Ergebnis der Beratungen über die Verfassung der Institution Kirche kann zwar nur ein Votum nach Rom sein. Aber dieses Votum nach Rom ist auch erforderlich. Die Kirche in Deutschland ist in der Weltkirche für ihre solidarische Haltung bekannt. Auch diese Solidarität und nicht nur die Situation in Deutschland erfordern ein solches Votum. Die Zugehörigkeit zur Weltkirche verlangt nicht nur die ver­meintlich notwendige Rücksicht auf andere Ortskirchen, wie einige Bischöfe in Verteidigung des status quo meinen, sie verlangt auch Rücksicht im Blick zurück auf die eigene Geschichte und Voraussicht im Blick nach vorn auf die Zukunft der Kirche und die damit verbundenen Erfordernisse. Solidarität ist kei­ne Einbahnstraße. Das ist die Erfahrung unserer weltweit wirkenden kirchlichen Werke und Bemühun­gen.

Ein Beispiel: „Wer sollte etwas dagegen haben können, wenn die katholische Kirche in Deutschland stellvertretend für die Weltkirche mit Hilfe der akademischen Theologie das Für und Wider von Ämtern und Diensten von Frauen in der Kirche erörtert?“ (Sr. Katharina Ganz)7)

Das Votum der Gemeinsamen Synode der deutschen Bistümer müsste die Bitte an die Weltkirche ent­halten, zu prüfen, wie „der Heilige Geist und wir“ die Verfassung der Kirche im Sinne des II. Vatikani­schen Konzils unter Berücksichtigung der Zeichen der Zeit in pneumatischer Freiheit fortschreiben wol­len. Wenn das ein drittes Vatikanisches Konzil erforderlich macht, dann sollte auch diese Chance ergrif­fen werden.

Wer über die Perspektive – gemeinsame Synode in Deutschland – erschrocken ist, mag erklären, welche sinnvolle Alternative er hierzu sieht. Nicht der Weg ist das Ziel, auch nicht die Synode, das Ziel ist viel­mehr eine zeitgerechte Verfassung der Kirche, die der Heilige Geist und wir gestalten müssen. Das ist keine Utopie, vielmehr eine Realutopie, die Schritt für Schritt Orientierung auf dem Weg in die kirchli­che Zukunft gibt. Wenn alle Glieder des Volkes Gottes als Weggemeinschaft in dieser Weise unterwegs sind, dann wird eine synodale Verfassung unserer Kirche Wirklichkeit.

Wer aber in dieser Weggemeinschaft nicht unterwegs sein will, der soll das öffentlich erklären und seine Argumente erläutern. Nur die offene Diskussion über die gegenwärtige Verfassung unserer Kirche, über ihren geschichtlichen Weg sowie über die Erfordernisse einer in pneumatischer Freiheit gestalteten Zu­kunft unserer Kirche kann unserer Verantwortung in der Nachfolge Christi gerecht werden. Das gilt auch für die Bischöfe, die dem Satzungsentwurf für den Synodalen Weg nicht zugestimmt haben.

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1) Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland, Neuausgabe der Gesamtausgabe, Freiburg im Breisgau, 2012 und: ww­w.dbk-shop.de/de/Deutsche-Bischofskonferenz/Synodentexte/Gemeinsame-Synode-der-Bistuemer.html
2) www.dbk.de/themen/der-synodale-weg/
3) Daniel Bogner, „Ihr macht uns die Kirche kaputt…“  Freiburg im Breisgau, 2019
4) Reinhard Kardinal Marx „Wie die Welt der Kirche beim Denken hilft“ in: zur Debatte – Themen der Katholischen Akademie in Bayern 4/2019 S.7
5) Zur Vorbereitung der Synode gab es die größte jemals durchgeführte demoskopische Untersuchung in einem religionssoziologischen Projekt.
6) Klaus Mertes, „Pneumatische Freiheit der Kirche“ in. Stimmen der Zeit, Heft 8, August 2019, S.621
7) Sr. Katharina Ganz im Interview mit Daniel Deckers in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13.09.2019, S. 4

Dr. Dr. h.c. Friedrich Kronenberg (1933) hat Wirtschafts- und Sozialwissenschaften studiert. 1960-64 war er hauptamtlicher Leiter der Deutschen Pfadfinderschaft St. Georg, 1966 – 1999 Generalsekretär des Zen­tralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) sowie stv. Sekretär der Würzburger Synode 1970 – 1975 und 1983-1990 Mitglied des Deutschen Bundestages. 1982 – 2003 war er Vorsitzender der Kommission für Zeitgeschichte und 2001 – 2009 Vorsitzender des Maximilian-Kolbe-Werkes. Er ist Mitherausgeber von kreuz-und-quer.de

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