AMORIS LAETITIA

Ulrich Ruh sieht im nachsynodalen schreiben von Papst Franziskus keinen autoritativen Schlussstrich zur Familien-Doppelsynode und begrüßt das päpstliche Plädoyer für mehr pastorale Sensibilität.

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Ulrich Ruh

Amoris laetitia
Zum nachsynodalen Schreiben von Papst Franziskus

Nicht alle doktrinellen, moralischen oder pastoralen Diskussionen müssten durch ein lehr­amtliches Eingreifen entschieden werden. Das betont Papst Franziskus gleich am An­fang seines nachsynodalen Schreibens „Amoris laetitia“, und das umfangreiche Doku­ment zeigt, dass er sich als oberste lehramtliche Instanz selber an diese Maxime hält. Sein Resümee der „Doppelsynode“ von 2014/15 über die Familie ist kein autoritativer Schlussstrich und ver­zichtet auf klare Festlegungen in den innerkirchlich strittigen Fragen auf diesem Themen­feld. Die Deutungen gehen denn auch entsprechend auseinander: Se­hen die einen in dem Schreiben einen Durchbruch zu einem neuen Umgang der katholi­schen Kirche mit der Wirk­lichkeit von Ehe und Familie, beeilen sich die anderen mit der Feststellung, der Papst habe an der geltenden Lehre nichts geändert.

„Amoris laetitia“ ist zunächst im eminenten Sinn ein nachsynodales Schreiben. Ganze Kapi­tel bestehen weitgehend aus längeren und kürzeren Zitaten aus den Ergebnisdoku­menten der Synode, also der „Relatio synodi“ der Außerordentlichen Vollversammlung von 2014 und dem Abschlussbericht der ein Jahr später abgehaltenen Ordentlichen Voll­versammlung. In beiden Fällen erhielten die allermeisten Abschnitte, über die separat ab­gestimmt wurde, überwältigende Mehrheiten bei den „Synodenvätern“. Der Papst nimmt also die von ihm einberufene Synode ernst, indem er sich ihre weitgehend im Konsens verabschiedeten Aus­sagen durchgängig zu Eigen macht. Dieses Vorgehen entspricht voll und ganz dem Pro­gramm, das Franziskus mit seinem Plädoyer für mehr Synodalität in der katholischen Kirche auf allen Ebenen in seiner Ansprache zum fünfzigjährigen Jubi­läum der Bischofssynode am 17. Oktober 2015 formuliert hat.

An verschiedenen Stellen zitiert Franziskus auch aus einschlägigen Schreiben von Bi­schofskonferenzen, vor allem aus Lateinamerika. Dass er in seinem nachsynodalen Doku­ment in dieser Weise nationale Bischofskonferenzen zu Wort kommen lässt, ist ein zu­kunftsweisender Beleg für praktizierte Kollegialität. Dazu passt auch, dass der Papst aus­drücklich darauf hinweist, in jedem Land und in jeder Region könnten „besser inkultu­rierte Lösungen gesucht werden, welche die örtlichen Traditionen und Herausfor­derungen berücksichtigen“ (Nr.3).

„Amoris laetitia“ nimmt auf der einen Seite die Familiensynoden 2014/15 ernst; gleich­zeitig handelt es sich bei dem Schreiben aber auch um einen sehr persönlich gehaltenen Text. Das zeigen nicht zuletzt einige Lesefrüchte, die der Papst einbaut. Er zitiert den von ihm sehr ge­schätzten Jorge Luis Borges und Octavio Paz, ein Gedicht des argentinischen Lyrikers Mario Benedetti sowie besonders ausführlich eine Predigt von Martin Luther King. Auch Gabriel Marcel und Josef Pieper sind mit schönen Sätzen über die Liebe ver­treten.

Manche Teile des Papstschreibens haben keine Entsprechung in den Ergebnisdokumen­ten der beiden Synoden; wohl auch deswegen ist es so lang ausgefallen. Das Kapitel „Im Licht des Wortes“ trägt genauso die Handschrift von Franziskus wie das über die Liebe in der Ehe. Im erstgenannten meditiert er über den Psalm 128 und lässt dabei viele andere Schriftstellen zu Wort kommen. Das Kapitel über die Liebe in der Ehe legt zunächst Wort für Wort eine Passage aus dem paulinischen „Hohelied der Liebe“ (1Kor 13) aus; hier wird der Papst zum Ehe- und Familienkatecheten, der alltagsnah helle und weniger helle Seiten einer Beziehung anspricht. Ein Beispiel dafür: „Die Ehegatten, die sich lie­ben und einander gehören, spre­chen gut voneinander, versuchen, die gute Seite des Ehe­partners zu zeigen, jenseits seiner Schwächen und Fehler“ (Nr. 113). Auch in den Aus­führungen über die Ehevorbereitung, die verschiedenen Etappen einer Ehe und über Kin­dererziehung spricht Franziskus in seinem nachsynodalen Dokument im Duktus des an konkreten Situationen orientierten Seelsorgers, der sich für handfeste Ratschläge nicht zu schade ist.

Die deutschen Bischöfe hatten in ihrer zusammenfassenden Auswertung der vorsynoda­len Umfrage zur Akzeptanz der kirchlichen Ehe- und Familienmoral festgehalten und dem Syn­odensekretariat übermittelt: „Die meisten Gläubigen schließen ihre Ehe in der Perspektive und Hoffnung einer lebenslangen Verbindung. Die kirchlichen Aussagen zum vorehelichen Geschlechtsverkehr, zur Homosexualität, zu wiederverheirateten Ge­schiedenen und zur Ge­burtenregelung finden hingegen kaum Akzeptanz oder werden überwiegend explizit abge­lehnt.“ Die hier genannten Punkte werden in den Ergebnisdo­kumenten der Familiensynode mit Ausnahme der wiederverheirateten Geschiedenen nicht breit behandelt; das spiegelt sich jetzt auch in „Amoris laetitia“ wider.

Die Sackgasse, in die sich das Lehramt mit „Humanae vitae“ von 1968 manövriert hat, wird nicht als solche angesprochen. Beim Thema Homosexualität belässt es der Papst- wie vor ihm schon die Bischofssynode- bei Zitaten aus dem „Katechismus der katholi­schen Kirche“ und einem Dokument der Glaubenskongregation, ohne sich auf die Proble­me der offiziellen Lehrposition und die entsprechende Diskussion in Kirche und Theolo­gie einzulassen. Die Aussagen zu Sexualität vor der Ehe sind gut gemeint, aber schlicht wirklichkeitsfremd.

Im Blick auf den Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen münden die einschlägi­gen Passagen von „Amoris laetitia“ in die Feststellung, man habe von der Synode oder vom Papstschreiben „keine neue, auf alle Fälle anzuwendende generelle gesetzliche Re­gelung ka­nonischer Art“ erwarten dürfen (Nr. 300). Franziskus macht es sich an diesem heiklen Punkt nicht leicht, ganz im Gegenteil: Bis in die Anmerkungen hinein wird der Spielraum für eine Regelung auszuloten versucht und dabei besonders die Bedeutung der individuellen Gewis­sensentscheidung und des Gesprächs mit dem jeweiligen Seelsorger betont. Der Papst hat also keine Türen zugeschlagen, hat sich aber auch nicht dem auf der Synode durchaus arti­kulierten Votum mancher Bischöfe zugunsten einer stärkeren Öffnung im Interesse vieler wiederverheirateter Geschiedener angeschlossen – die Zeit ist offensichtlich für einen sol­chen Schritt noch nicht reif.

„Amoris laetitia“ enthält viel Schönes und Hilfreiches zum Thema Ehe und Familie und plä­diert gleichzeitig nachdrücklich für mehr pastorale Sensibilität angesichts „irregulärer“ Si­tuationen. Darauf kommt es dem Papst aus Lateinamerika auch in diesem Schreiben beson­ders an. Verglichen mit dem Eifer, mit dem sich Johannes Paul II. zum Schaden der Kirche und ihrer Glaubwürdigkeit in Lehrfragen verbissen hat, ist das zweifellos eine er­freuliche Entwicklung.

Dr. Ulrich Ruh (1950) ist Honorarprofessor an der Universität Freiburg im Breisgau und war 1991 – 2014 Chefredakteur der “Her­der Korrespondenz”.  Er studierte  Katholischen Theologie und der Germa­nistik in Freiburg und Tübingen . Danach war er bis  1979 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Theolo­gischen Fakultät Freiburg (Prof. Karl Lehmann), am Lehrstuhl für Dogmatik und Öku­menische Theologie. 1979 wurde er  in Freiburg  mit einer Arbeit über Begriff und Problem der Säkularisierung zum Dr. theol. pro­moviert und trat im gleichen Jahr i die Redaktion der “Herder Korrespondenz” ein, deren Chefredak­teur er von 1991 -2014 war. Seit 2015 gehört er der Redaktion von kreuz-und-quer.de an.

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